Ein Virus macht alle gleich, hiess es in den vergangenen Monaten immer wieder. Es unterscheide nicht zwischen geografischen Grenzen, politischer Haltung oder sozialer Klasse. Doch die Pandemie verschärfte die Ungleichheit drastisch, wie George Packer in seinem eindringlichen Essay «Die letzte beste Hoffnung» feststellt.
Obschon die USA an Strahlkraft eingebüsst haben, übt diese «Nation von 300 Millionen irre diversen und individualistischen Menschen» nach wie vor einen enormen Einfluss auf den Rest der Welt aus – vom demokratischen Kapitalismus über die schillernde Popkultur bis hin zu den «Black Lives Matter»-Protesten. Nachvollziehbar und in verständlicher Sprache zeigt der kalifornische Journalist auf, wie die USA in den letzten Jahren zerfielen – und zwar in vier Amerikas.
Die Fronten sind verhärtet
Da ist zunächst das «freie Amerika», dessen Ursprünge in der Ära von Präsident Ronald Reagan in den 1980ern liegen. Damals entstand eine wohlhabende, konservative Elite. Das «smarte Amerika» wiederum sind gebildete Kosmopoliten – eine Gruppe, zu der sich der 61-jährige Autor selbst zählt. Sie bilden eine Art moderne Aristokratie hochqualifizierter Fachleute, denen Packer die breite Mittel- und Arbeiterschicht gegenüberstellt, das «wahre Amerika»: weisse, christliche Nationalisten, die «das Establishment» verachten. Ihr Elitehass wird durch die politische Korrektheit des «gerechten Amerika» befeuert. Junge, urbane Amerikaner, die sich gegen die selbstgefällige Leistungsgesellschaft auflehnen und soziale Ungerechtigkeiten wie strukturellen Rassismus anprangern, während Schwarze und Latino-Amerikaner durch diese Raster fallen – quasi unsichtbar werden.
Das Problem: Diese vier Amerikas haben sich voneinander entfremdet und verharren in ihren jeweiligen Blasen. «Jede Seite betrachtet die andere als den Feind schlechthin, jeder Kompromiss käme einem Verrat gleich.» Die Fronten sind verhärtet, Packer spricht sogar von einem «kalten Bürgerkrieg», der Anfang dieses Jahres im Sturm wutentbrannter Trump-Anhänger aufs Kapitol gipfelte.
Ein Plädoyer für die Demokatie
Wie konnte es dazu kommen? Verständlich und selbstkritisch deckt der Autor die politischen und gesellschaftlichen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte auf, die durch die Corona-Krise gnadenlos ans Licht gezerrt wurden. Dabei streift er brisante Themen wie Konsumgesellschaft, Klimawandel und Klassenkampf und macht deutlich, dass die fehlende Vision einer gemeinsamen Identität nicht nur eine Krise der Vereinigten Staaten ist.
Um den dauerhaften Zustand der Polarisierung aufzubrechen, müssten die USA «einen Pfad einschlagen, dem der Grossteil der Amerikaner folgen will», schlägt Packer vor. Wichtigste Voraussetzung sei, Gleichheit zu schaffen. Dafür müsse die Wirtschaft umgebaut, das Schulsystem verbessert und der Zugang zu sozialen Sicherungssystemen erleichtert werden. Auch wenn er keine stringente Lösung parat hat, gelingt ihm eine weitsichtige Analyse der jüngsten Vergangenheit US-amerikanischer Geschichte. Gleichzeitig ist «Die letzte beste Hoffnung» ein leidenschaftliches Plädoyer für die Demokratie.
Buch
George Packer
Die letzte beste Hoffnung
Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl
256 Seiten
(Rowohlt 2021)