Der Schriftsteller Franz Kafka war ein naturwissenschaftlicher Tiefflieger. Denn er verzichtete darauf, den Käfer genau zu beschreiben, in den sich der arme Gregor Samsa in der berühm-ten Novelle verwandelt hatte. Kafka vermeidet im Text sogar das Wort «Käfer» wann immer möglich: «Es war ihm nicht so wichtig, in wen oder was genau sich Gregor Samsa verwandelte, solange es für seine Umwelt nur abscheulich genug war.»
Das schreibt der Autor und Biologe Bernhard Kegel und spielt damit auf das Unverständnis an, das die Menschen den Krabbeltieren entgegenbringen. Unter dem simplen Titel «Käfer» erscheint der neue illustrierte Band in der «Naturkunden»-Reihe im Berliner Matthes & Seitz Verlag.
Käfer als eine Art Gesundheitspolizei
Kegel ist in die Käfer vernarrt und hat ein flammendes und unterhaltsames Plädoyer für die Viecher geschrieben zwecks Imagegewinn: «Käfer sind in unseren Breiten klein und primitiv und für das moderne Leben scheinbar unbedeutend genug.» Dabei prägen sie seit Jahrmillionen das Leben auf diesem Planeten vor allem als Unratvertilger in der Natur – eine Art Gesundheitspolizei.
Eine der grössten Käfersammlungen der Welt befindet sich im Naturhistorischen Museum von Basel. Das Haus auf dem Münsterberg kam durch den Münchner Trachtenfabrikanten Georg Frey zu diesem Exponat. Der Mann machte sein Vermögen mit Krachledernem; seine wahre Liebe galt jedoch den Käfern, die er systematisch sammelte. Wie oft in solchen Fällen wurde sein Schaffen in der Heimat nicht genügend gewürdigt, und seine Witwe vermachte den Nachlass den Baslern. Bis dahin säten die gesammelten Käfer allerorts viel Zwietracht: «Sie entzweiten die hinterbliebene Familie wie die Fachwelt, beschäftigten sogar den deutschen Innenminister und die Justiz bis hinauf zum Bundesgerichtshof.» Selbst Freys Frau Barbara war von der Leidenschaft ihres Ehemanns wenig begeistert, weil er die toten Tiere lange Zeit im Schlafzimmer stapelte.
Eine wichtige Frage lässt sich nicht beantworten. Wie viele Käferarten gibt es? Niemand weiss es. Als Richtzahl gilt 1,5 Millionen, wobei vermutlich längst nicht alle entdeckt und beschrieben sind. Im Einzelfall werden sogar unbekannte Käfer in Sammlungen entdeckt. So ist es vorgekommen, dass Forscher in der Kollektion von Charles Darwin auf ein Käferexemplar stiessen, das der Meister zwar eingesammelt, aber nicht beschrieben hatte: «Nach der für das arme Tier schicksalshaften Begegnung mit dem grossen Naturforscher hatte es auf seiner Nadel 200 Jahre namenlos und unbeachtet in einer Museumsschublade zugebracht.»
Maikäferbouillon zur Vorspeise
Hinter diesem Befund steckt eine ethische Frage: Dürfen Forscher Käfer für wissenschaftliche Zwecke töten? Zumindest im Fall der geschützten Insekten ist die Antwort klar. Autor Kegel hat seine Meinung im Lauf der Jahre geändert und plädiert heute dafür, sich auf das Einsammeln toter Käfer zu beschränken. Nicht ganz dazu passt das Käferrezept, das er in dem Buch zum Besten gibt. Im 19. Jahrhundert boten die besten französischen Restaurants angeblich eine Maikäferbouillon zur Vorspeise an: «Ein Pfund Maikäfer, ohne Flügeldecken und Beine, in Butter knusprig geröstet und dann mit Hühnerbrühe abgelöscht.»
Buch
Bernhard Kegel
Käfer
Hg. Judith Schalansky
143 Seiten
(Matthes & Seitz 2019)