Wer als Kind in Kamerun aufwächst, lernt zuerst die Vatersprache. Selbst dann, wenn die Mutter anders redet, denn sie ist angehalten, wie ihr Mann zu sprechen. Die Wahrscheinlichkeit ist in Kamerun gross, dass Mutter und Vater nicht gleich reden, denn in diesem Land sind 250 Sprachen zu hören. Um sich gegenseitig zu verständigen, sind die Kameruner wie die meisten Afrikaner mehrsprachig. Dabei halten sie sich meist nicht an fixe Sprachregeln, sondern fügen Elemente unterschiedlicher Spra-chen zusammen. Richtig ist, was verstanden wird.
Drei Viertel der Weltbevölkerung spricht eine der 20 Sprachen, über die Gaston Dorren im Buch «In 20 Sprachen um die Welt» schreibt: Auf 83 Millionen bringt es das Vietnamesische, auf 550 Millionen kommt Hindi-Urdu und auf 1,5 Milliarden das Englische. Das sind etwas mehr Menschen als die Mandarin sprechenden Chinesen.
Von der Sprache zu den politischen Verhältnissen
Stellt sich die Frage, welche Sprachen sich durchzusetzen vermochten. In der Regel sind es die imperialistischen, also das Englische, das Spanische und das Arabische. Aber eben nicht nur, wie Mandarin in Ostasien belegt. Am spannendsten ist Gaston Dorrens Buch dann, wenn er einen Bogen von der Sprache zu den politischen Verhältnissen schlägt, wie etwa beim Französischen. Im Mittelalter herrschte in Frankreich sprachliche Vielfalt, Latein war die offizielle Schriftsprache. Doch mit der Machtfülle des absolutistischen Hofs wuchs die Bedeutung des Pariser Französisch. Die am Ende des 17. Jahrhunderts gegründete Académie française normierte es im ersten offiziellen Wörterbuch und sperrte damit die Sprache bis heute in eine Zwangsjacke. Das kümmerte die Menschen in der Provinz lange Zeit nicht. In lediglich 15 der 83 Departemente wurde Ende des 18. Jahrhunderts in der französischen Standardsprache geredet. Das änderte sich mit der Revolution. Im Bestreben nach «égalité» wurde den Bürgern das Normfranzösisch verordnet. Alle Dokumente mussten in dieser Sprache verfasst sein. Der normative französische Sprachzentralismus hat bis heute Bestand.
Vietnamesisch resistent gegen Ausseneinflüsse
Dorren scheute den Aufwand nicht, sich exotische Sprachen anzueignen, oder er unternahm wenigstens den Versuch dazu. So schildert er die Tücken des Vietnamesischen: Zwar haben die Wörter keine unterschiedlichen Endungen, einen Plural in unserem Sinn gibt es nicht, die Mehrzahl wird numerisch angegeben. Doch die Sprache hat viele Personalpronomen: «Es gibt eine Riesenauswahl an Ichs und Dus, die teils vom Geschlecht abhängen, aber auch von der Art der Beziehung und vom Alter.» Gendern auf Vietnamesisch wäre also noch heikler als anderswo. Überhaupt erweist sich ihre Sprache als ziemlich resistent gegenüber Einflüssen von aussen. So haben sich trotz der jahrelang engen Beziehungen zur früheren UdSSR kaum russische Fremdwörter eingebürgert, wie Dorren konstatiert.
Der Autor hat ein unterhaltsames Sachbuch geschrieben. Allerdings neigt er dazu, in Details abzudriften. Trotzdem lohnt sich die Lektüre, denn alle Sprachen dieser Welt haben eines gemeinsam: Sie können amüsieren.
Buch
Gaston Dorren
In 20 Sprachen um die Welt
Aus dem Englischen von Juliane Cromme
400 Seiten
(C.H. Beck 2021)