Ein weiter Weg, nein, Welten liegen zwischen Garrett Davis und Barack Obama. «Ich will keine Neger-Regierung, ich will keine mongolische Regierung; ich will die Regierung des weissen Mannes, die unsere Vorväter gründeten», drückt Davis, demokratischer Senator aus Kentucky, 1869 eine trotz Bürgerkrieg noch lange massgebende Meinung aus. Während Obama sich 2008 dem Volk mit den Worten vorstellt: «Ich bin der Sohn eines schwarzen Mannes aus Kenia und einer weissen Frau aus Kansas. Diese Menschen sind ein Teil von mir. Und sie sind ein Teil von Amerika.»
Zwischen Verheissung und Enttäuschung
Ein Teil von Amerika, das sind auch andere: Die Ureinwohner, zuerst blutig bekämpft und dann in Reservate eingepfercht. Das sind auch die Frauen, benachteiligt bis heute – ein Verfassungszusatz zu ihren Gunsten scheitert 1977 knapp. Das ist die eine Realität, von der die Harvard-Historikerin Jill Lepore in ihrer «Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika» erzählt.
Die andere Realität, das ist ein grosses Versprechen, 1776 niedergeschrieben von Thomas Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung: «Wir erachten diese Wahrheiten als heilig und unbestreitbar: Dass alle Menschen gleich und unabhängig geschaffen sind, dass sie, weil sie gleich geschaffen sind, natürliche und unveräusserliche Rechte besitzen, zu denen die Erhaltung des Lebens und Freiheit und das Streben nach Glück gehören.»
Zwischen einer grossen Verheissung und einer fortwährenden Enttäuschung spannt Lepore in ihrem Buch «Diese Wahrheiten» einen weiten Bogen. Sie tut es in einer klaren Sprache und einer Erzählung, die reich ist an Überraschungen, mit ihrer Fülle an Anekdoten niemals langweilt.
Dabei lässt sie immer wieder einzelne Menschen lebendig hervortreten. Nicht nur die Präsidenten, von denen einzelne – Harry S. Truman etwa, oder Lyndon B. Johnson – mehr Lob bekommen, als sie es aus europäischer Warte verdient hätten. Intensiv zeichnet sie auch beherzte Verfechter gleicher Rechte für die Schwarzen und die Frauen. Sie schildert das Aufkommen der Industrie, die Auswirkungen des Radios, dann des Fernsehens und schliesslich eines unregulierten, die politische Debatte nahezu zerstörenden Internets.
Widersprüche und blinde Flecken
In ihrem neusten Buch «Dieses Amerika» wechselt sie den Blickwinkel, schiebt ein «Manifest für eine bessere Nation» nach. Dieses wendet sich der Gegenwart zu und richtet sich auch an ihr eigenes Umfeld – an Historiker und Intellektuelle, die im Bemühen, die vielen blinden Flecken vergangener Generationen auszufüllen, seit den 1970er-Jahren um das Nationale einen weiten Bogen schlagen und dessen Würdigung lieber einem Demagogen wie Donald Trump überlassen. Doch es gibt neben dessen illiberalem Nationalismus auch einen anderen, liberalen Nationalismus. Dessen Kraft unterschätzt, wer, wie die Philosophin Martha Nussbaum, den ihm zugrunde liegenden Patriotismus für «moralisch gefährlich» erklärt. Es ist diese Sackgasse, in die sich viele von Trumps Gegnern verrannt haben.
Bücher
Jill Lepore
Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika
1120 Seiten
(C.H. Beck 2019)
Jill Lepore
Dieses Amerika.
Manifest für eine bessere Nation
156 Seiten
(C.H. Beck 2020)