Mussolini ist wieder da. Er heisst Caio Giulio Cesare Mussolini, hat für die Fratelli d’Italia für das Europaparlament kandidiert und sagt, sein Urgrossvater habe viele positive Dinge geleistet und einige Fehler begangen. Man kann das, im Italien der regierenden Populisten, ganz ungestraft sagen über den faschistischen Diktator. Es erinnert daran, wie tief verankert das faschistische Denken doch in Italien ist. Genau dies belegt Kersten Knipp in «Die Kommune der Faschisten», das nur am Rande von Mussolini handelt und einem andern Vordenker des Faschismus seine Aufmerksamkeit schenkt: dem Dichter Gabriele D’Annunzio.
Ein grosser Redner und Populist
D’Annunzio ist schon ein sinkender Stern, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Er will «mit Sprache die Welt verändern», wie Knipp schreibt, will das mittelmässige, zurückgebliebene, erst 1861 zum Staat vereinigte Königreich Italien gross machen. Er ist ein brillanter Redner, ein Populist, bevor es dieses Wort gibt. Er liebt das Fliegen und den Rausch des Tempos. Dieser Krieg, schreibt er, ist «die Heilung von allen Übeln, die Vergebung aller Fehler». Und – er ist 51 Jahre alt – «die Wiederherstellung der Jugend und Kraft».
Mit seinen Reden heizt D’Annunzio eine – nur mässig vorhandene – Kriegsbegeisterung an, treibt eine widerstrebende Regierung in den Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn. Italien zahlt mit 600 000 Gefallenen einen enormen Blutzoll, doch der Dichter, der sich mit publikumswirksamen Aktionen zum Soldaten mausert, gewinnt daraus neue Kraft. Es ist Gabriele D’Annunzios grosse Enttäuschung, dass Italien 1918, obwohl auf der Seite der Sieger stehend, nicht so wachsen kann, wie er es sich wünscht.
So holt er zu jenem Coup aus, der dem Buch seinen Namen gegeben hat. Im September 1919 besetzt er mit seinen Anhängern Fiume, das heutige Rijeka in Kroatien, und errichtet eine Marionettenrepublik, in der permanente Feststimmung herrscht – mit Kokain, Gesang und Frauen. Steuern und Abgaben gibt es nicht, dafür werden vor der Küste Schiffe geplündert. Unablässig hält D’Annunzio Reden. Von Ferne solidarisiert sich Benito Mussolini, der wenige Jahre später zum «Marsch auf Rom» blasen wird.
Rückzug an den Gardasee
Im Dezember 1920 greift Italien ein und beschiesst die Stadt, Anfang Januar verschwindet D’Annunzio mit seinen Getreuen. Er zieht sich zurück an den Gardasee, wo er in seiner prachtvollen Villa, dem «Vittoriale», bis zum Tod 1938 an einem Museum seiner selbst baut. Mussolini setzt fort, was er begonnen hat mit seiner Kunst der permanenten rhetorischen Mobilisierung. D’Annunzio aber hat als Erster die Wutbürger seiner Zeit hinter sich geschart, gegen die Eliten gewettert und daraus Kraft ge wonnen.
Buch
Kersten Knipp
Die Kommune der Faschisten – Gabriele D’Annunzio, die Republik von Fiume und die Extreme des 20. Jahrhunderts
288 Seiten
(wbg Theiss 2019)