«Keine Heldinnengeschichte, kein Ich-hab-den-Brustkrebs-besiegt-Triumphmarsch, aber auch keine Tragödie; noch nicht mal eine richtige Geschichte mit Anfang und Ende; eine Recherche eher zu bestimmten Motiven; Fragmente, Erfahrungen, denen ich nachgehe mit Hilfe eines abstrahierten Tagebuchs (…)». So beschreibt die Schweizer Autorin Ruth Schweikert ihr sehr persönliches «Büchelchen», in dem sie nebst ihrer eigenen Geschichte «Überlebens- und Sterbenserzählungen» versammelt.
Ein philosophischer Blick auf das Sterben
Am Anfang steht das Warten auf die Diagnose der Ärztin. Der Dienstag, 9. Februar 2016, zieht sich unerträglich in die Länge. Kettenrauchend, immer wieder in Erinnerungen abschweifend, harrt die Schriftstellerin aus. Und schliesslich der Befund: «triple negative», eine besonders aggressive Form von Brustkrebs. Er schleudert die 51-Jährige in ein «diffuses Konglomerat» aus Angst, Wut, Scham und Überlebensmut. Und hinein in die medizinische Maschinerie, in schlaflose Nächte, in Schmerz.
In diesem «Krebsgefängnis» findet sie durch das Schreiben einen gewissen Halt. Dem formlos Wuchernden des Krebses setzt sie die formale Gestaltung durch Sprache entgegen, wie Schweikert in einem Interview ausführte. Aber auch das Unkontrollierte, Unfassbare der Krankheit widerspiegelt sich in den unterschiedlichen Textformen. Nebst geschliffen formulierten Erinnerungen und Gedanken stehen unvollständige Mails oder SMS mit Tippfehlern, und sie springt im Textfluss zwischen verschiedenen Zeiten, Orten und Menschen hin und her. Auch fehlt am Ende eines Absatzes jeweils der Punkt, manchmal bricht ein Satz einfach ab. All das verweist auf die Ungewissheit durch die Krankheit.
Einerseits zoomt Schweikert in ihrem Buch bis zur Schmerzgrenze heran an das eigene Empfinden und ihre Erfahrungen mit dem Brustkrebs – bis ins medizinische Detail. Andererseits wirft sie aus grösserer Distanz einen philosophischen Blick auf das Sterben und auf den gesellschaftlichen Umgang mit dem Unabwendbaren. Allein schon die gut gemeinten Trostworte und Ratschläge der anderen sind entlarvend: «Das hast du nicht verdient», sagt man ihr öfter. Und sie selbst fragt sich: «Wer zum Teufel hätte das verdient?» In einer anderen Szene beschreibt sie, wie die Psycho-Onkologin ihr vorschlägt, sich die Strahlen bei der Radiotherapie als reinigenden Wasserfall vorzustellen. Nicht ohne Humor schildert Schweikert auch die Aussenwahrnehmung auf sie als fünffache Mutter, als Dozentin, als Autorin: «tausend Projekte hier, tausend Projekte dort, und jetzt auch noch Krebs».
Dazwischen lässt sie an Krebs verstorbene Kollegen wie Werner Morlang, Roger Willemsen oder Walter Matthias Diggelmann zu Wort kommen. Berührend auch die Aufzeichnungen zum Sterben des Vaters, der sein ganzes Leben lang nie Schwäche gezeigt hat, und die Worte einer Mutter, die ihr 19 Monate altes Kind verloren hat. Mit «Tage wie Hunde» entwirft Schweikert ein vielstimmiges und vielschichtiges Geflecht, umkreist das Thema Tod und lässt doch viel Denkraum offen.
Lesungen
Mo, 15.4., 19.30 Literaturhaus Zürich
Mo, 29.4., 20.00 Kellerbühne St. Gallen
Buch
Ruth Schweikert
Tage wie Hunde
208 Seiten
(S. Fischer 2019)