Das Buch, das Ruth Erdt auf ihren Arbeitstisch krachen lässt, ist massiv. «Es sind fast 900 Seiten, ein ziemlicher Klotz», sagt die Fotografin und lacht. Der Bildband über das Zürcher Quartier Schwamendingen umfasst über 600 Fotografien und erscheint im Oktober: Ruth Erdts Ode an einen Randbezirk.
Ein Montagmorgen in Schwamendingen. Erdt trägt einen Kapuzenpullover – es ist kühl in ihrem Atelier in einem alten Bauernhaus. In zwei Wochen wird sie ihre Fotoserie auch in der Ausstellung «K12 – Schwamendingen» in der Kunsthalle Zürich zeigen. Sie ist noch dabei, Bilder für die Projektionswand auszusuchen. «Ich möchte den Besuchern meine Liebe für dieses Quartier vermitteln», sagt sie. «Und ich möchte diesem Ort und seinen Menschen etwas zurückgeben.»
Ruth Erdt zog vor mehr als 30 Jahren nach Schwamendingen. Als Künstlerin interessierte sie sich schon immer für ihre persönliche Umgebung. Sie weitete ihren Blick nach und nach von der eigenen Familie aufs Quartier aus. «Schwamendingen war ziemlich verschrien», erzählt sie. «Aber es war auch ein Ort der Möglichkeiten.»
Auf ihrem Arbeitstisch geben an diesem Tag unzählige kleine Ausdrucke einen Einblick in ihre Serie. Hier liegen 20 Jahre einer Künstlerkarriere: Porträts, Strassenund Architekturfotografie, Chilbibesucher, Badiszenen und Flugzeuge im Landeanflug. Die Fülle der Fotos fesselt.
Vieles auf den Fotografien existiert heute nicht mehr
Doch die Serie stimmt auch melancholisch. Immer wieder zog Erdt mit ihrem orangen Bauhelm los und fotografierte – nicht immer ganz legal – die Baustelle der Autobahneinhausung, die Abbruchhäuser, die Spuren der früheren Bewohner, die Grussworte zum Abschied: «Schwäme-Ghetto Love». Später auf einem Spaziergang: Ruth Erdt geht unter einem grauen Himmel Richtung Autobahneinhausung mit dem neuen Ueberlandpark.
Mal zeigt sie auf Neubauten, mal erzählt sie von einer umgenutzten Fabrik, die jüngst abgerissen wurde. Vieles, was sie fotografierte, existiert längst nicht mehr. Anderes erzählt von den ewig gleichen Abläufen der Gentrifizierung. «Diese Serie ist durchwegs eine politische Arbeit», sagt Erdt. Beim Aufgang zum Park plaudert die Fotografin kurz mit den Arbeitern einer Gartenbaufirma. Die Grünfläche ist noch nicht zugänglich, Erdt darf dennoch hoch.
Oben sind schon die ersten Bäume eingesetzt. Die Fotografin ist überzeugt, dass der Park dem Quartier guttun wird. Ihre Serie wird sie fürs Erste aber ruhen lassen. Zumindest wird sie es versuchen: «Es ist schwierig, abzuschalten, wenn man einem Quartier so verbunden ist.» Dann fällt ihr Blick auf nahe Bauprofile: Die nächste Abbruchsiedlung. In einigen Jahren wird man sie bereits vergessen haben – ausser Ruth Erdt zieht doch noch mit ihrer Kamera los.
Ruth Erdt:
K12 – Schwamendingen
Fr, 27.9.–So, 19.1. Kunsthalle Zürich
Ruth Erdts Kulturtipps
Ausstellung
Time Is on My Side
«Die Kunsthalle 8000 ist von der Architektur und vom Ausstellungsprogramm her interessant. Zurzeit stellen viele Kolleginnen und Kollegen aus, deren Arbeit ich schätze.»
Bis Sa, 30.11.
Kunsthalle 8000 Wädenswil ZH
Ausstellung
Miranda July – New Society
«Die US-Amerikanerin arbeitet in Text, Film und Installationen mit autobiografischem Material und rückt Themen ins Zentrum, die mehr Beachtung verdient hätten.»
Bis Mo, 28.10.
Fondazione Prada Mailand
Ausstellung
Rirkrit Tiravanija: Das Glück ist nicht immer lustig
«Diesen thailändischen Künstler kenne ich noch aus der Ausstellung im Migros Museum Zürich von 1998. Er ist grossartig!»
Bis So, 12.1.
Gropius Bau Berlin (D)