Die Ausgangslage kommt einem Krimi gleich: Robert ist bei seiner Arbeit in Lappland, wo er neue Modelle der Autoindustrie testete, verschwunden. Nach dem ersten Schock beschliesst seine Frau Claudia, zur Unterstützung der Ermittlungen aus Deutschland in das nordschwedische Städtchen Arjeplog zu reisen. Was als Krimi beginnt, entwickelt sich aber bald zur Seelendiagnose.

Innerer Wandel

Vor dem Hintergrund der betörenden Schnee- und Eislandschaften in Lappland erzählt die süddeutsche Autorin Claire Beyer vom inneren Wandel ihrer Protagonistin: In Arjeplog findet diese bei der älteren Birgitta Zuflucht und die lang vermisste Wärme. Denn in Claudias Ehe haben sich nach 30 Jahren Entfremdung und Routine eingeschlichen. Und auch ihre zwei erwachsenen Söhne bereiten ihr vorwiegend Kummer. Was ihr in ihrem Zuhause gefehlt hat, merkt Claudia aber erst in der Ferne bei der von allen Konventionen befreiten Birgitta, die nach vier Ehen alleine in einem behaglichen Holzhaus in der Wildnis lebt. Auch wenn sie sich um ihren verschwundenen Mann sorgt, fühlt sie sich dort täglich wohler: «Das gelbe Haus war zu einem Refugium, zu einer Art Zauberberg geworden, wo die Sorge um Robert geteilt werden konnte.»

In der klirrenden Kälte nahe des Polarkreises taut Claudias innere Kälte langsam auf, die Aufklärung des Falls rückt in den Hintergrund. Die Lösung, die Kommissar Kostkola am Schluss präsentiert, ist denn auch nebensächlich. Der Roman der 66-jährigen Autorin stellt vielmehr eine besondere Frauenfreundschaft und die sagenumwobene Polarlandschaft ins Zentrum – und beschert den Lesern einen literarischen Seelenwärmer für den nebligen Herbst.    

Claire Beyer
«Refugium»
255 Seiten
(Frankfurter Verlagsanstalt 2013).