Jede Epoche hat ihren Shakespeare. Jetzt kommt die tragische Geschichte des Veroneser Liebespaars Romeo und Julia vor dem Hintergrund einer riesigen Rollbrettpiste auf die Bühne. Die Halfpipe symbolisiert für den deutschen Regisseur Christian von Götz friedlichen Aufbruch; dieser könne nur von der jungen Generation ausgehen.
Die Geschichte bleibt
Mag die Inszenierung noch so zeitgeistig sein: Die Geschichte des unglücklichen Liebespaars bleibt sich immer gleich. Die Liebenden entstammen zwei verfeindeten Clans, den Montagues und den Capulets; sie dürfen deshalb nicht zueinanderfinden. Als Julia zwangsverheiratet werden soll, wendet sie sich an den Franziskanermönch Lorenzo, der sie mit einem Zaubertrank in einen fast zweitägigen Tiefschlaf versetzt, damit sie die Hochzeit verpasst. Romeo erfährt vom angeblichen Tod seiner Geliebten und vergiftet sich. Nachdem die erwachte Julia erkennt, was geschehen ist, stösst sie sich ein Messer ins Herz – das unschöne Ende einer schönen Romanze.
Shakespeare und seine Theaterleute brachten Ende des 16. Jahrhunderts einen politischen Machtkampf ins Londoner Globe Theatre. Die Familie der Capulets von Julia gilt als abgrundtief schlecht, Romeos Montagues erscheinen dem Publikum dagegen etwas sympathischer. Viele Zuschauer mögen damals sogar an Intriganten wie den 1. Viscount of Montague, Anthony Browne, gedacht haben. Er war ein politisches Schlitzohr, das, wiewohl überzeugter Katholik, die Gunst der anglikanischen Königin Elizabeth I. genoss. Wie auch immer: Das Thuner Musical greift jedenfalls die Vorstellung eines politischen Machtkampfes auf, an dem eine junge Liebe scheitert. Die Thuner Interpreten verweisen auf das neue Buch «Shakespeare’s Restless World» von Neil McGregor, der das Stück als die Geschichte «privilegierter Männer sieht, die sich in Banden organisiert bekämpfen, jagen und abstechen». Sie steckten in einem «Sumpf aus Korruption, Gewalt, Gesetzlosigkeit und Gier». Dieses Elend muss die Thuner Inszenierung nun in einem unterhaltenden Musical auf die Bühne, beziehungsweise in die Halfpipe, bringen – das ist die Herausforderung.
Romeo & Julia
Mi, 8.7.–Sa, 22.8.Thunerseespiele Thun
www.thunerseespiele.ch
Vier Fragen an den deutschen Regisseur Christian von Götz über ein aktuelles Verständnis von William Shakespeare.
«Mondäne, oberflächliche Gesellschaft»
kulturtipp: Was ist der Unterschied von Romeo und Julia zwischen dem 16. Jahrhundert und heute?
Christian von Götz: Diese parabelhafte Geschichte ist in allen Jahrhunderten gültig mit ihren Rivalitäten von Familien, verhinderten Beziehungen und politischen Vorurteilen. Wir wollen diese Thematik so nah wie möglich an das Publikum heranbringen und lassen das Stück deshalb in der heutigen Zeit spielen.
Laut dem Programmheft schimmert in Ihrer Inszenierung die Romantik des 19. Jahrhunderts durch – die Balkonepisode wird als Schlüsselszene dargestellt.
Die Balkonszene ist in allen Fassungen dieses Stücks ein dramaturgischer Höhepunkt, auch in der «Westside Story» aus den 1950er-Jahren. Wichtig daran ist, dass Romeo in den ersten Stock klettern muss, um Julia zu erreichen. Er muss etwas Riskantes und Verbotenes tun, um ans Ziel zu gelangen.
Entscheidend in diesem Stück ist die erste Szene im vierten Akt, als Lorenzo den Plan ausheckt, Julia in einen Langzeitschlaf zu versetzen.
Das ist ein sehr tragischer Moment, denn Lorenzo möchte Gutes tun, richtet aber Unheil an. Das macht die Figur des Lorenzos so spannend, er ist die Vertrauensperson der zwei Liebenden. Zwar hat er eine scheinbar gute Idee, um ihnen zu helfen, erreicht aber genau das Gegenteil.
Korruption und Gier – das Elend der Welt mit einem tragischen Ende. Wie kann das denn Unterhaltung sein?
Wir zeigen eine mondäne, oberflächliche Gesellschaft, in der es um Geld und Macht geht. Das kommt besonders bei den beiden verfeindeten Gräfinnen Montague und Capulet zum Ausdruck – dem Geldadel halt. Auf einer andern Ebene im Stück agieren die Jugendbanden, die sich bekämpfen und der staatlichen Autorität entziehen; diese haben schon im elisabethanischen Zeitalter die Menschen in Angst versetzt. Aber wir wollen ja das Publikum nicht abschrecken, sondern diese Verhältnisse komödiantisch darstellen. Wichtig ist die Musik, die sich an der Leichtigkeit französischer Operetten der Romantik orientiert – insofern ist unsere Inszenierung mehr französisch als englisch. Wir haben eine Hochglanzmusik, viel Glitzer und Glamour, und das muss in meiner Inszenierung des Stücks rüberkommen.
Regisseur Christian von Götz studierte Theater in Wien und in Berlin. Bisher mit Engagements in Köln, Leipzig und Lissabon. Demnächst mit Inszenierungen an der Hamburger Staatsoper, der Komischen Oper Berlin und der Oper Leipzig.