Thomas Brussig, 1964 in Ostberlin geboren, ist der «Wendespezialist» unter den deutschen Gegenwartsautoren. Seine Romane – etwa «Helden wie wir», «Am kürzeren Ende der Sonnenallee» – handeln von der Ex-DDR. Das aktuelle Buch «Beste Absichten» nennt Brussig seinen «kleinen Wenderoman».
«Äppstiehn» heisst der ansonsten namenlose Ich-Erzähler – nach dem Beatles-Entdecker und -Manager Brian Epstein. Er trifft zufällig auf die fünf Mitglieder der punkigen Ostberliner Rockband Die Seuche – «eine Band, die so gross werden wollte wie die Beatles». Äppstiehn wird deren Manager. Musik ist ihr Lebenselixier, denn: «Ohne Musik ist das alles nicht auszuhalten.»
Äppstiehn und Co. finden zwecks Finanzierung einer professionellen Bandanlage ein lukratives Geschäftsmodell: Am Zaun der Prager Botschaft kaufen sie Autos von Flüchtlingen, um sie gewinnbringend weiterzuverscherbeln. Am Ende wird die Band 141 600 Mark auf dem Konto haben. Nur mit der Musik geht es nicht voran. Im Gegenteil.
Niemand wartet auf die ultimative Wende-Hymne
Ihnen kommt die Weltgeschichte in die Quere. Zwar planen sie, die ultimative Wende-Hymne zu schreiben, denn die fehlt – «Leute, das ist ne Revolution ohne Musik, und wir werden das ändern!» Leider wartet beim Mauerfall niemand auf den Song. «Dieses Geschehen brauchte keinen Hit, das hatte seine Macht einfach so, indem es ablief.»
Alle aus der Band gehen ihren eigenen Weg, bis sie ein letztes Mal zusammenkommen. Schliesslich hat es noch Geld auf dem Bandkonto. «Der Plan war kindisch, er war typisch Nachwende, aber er war der kleinste gemeinsame Nenner. Der Plan war New York.» Hier spielt Die Seuche noch einmal. Und vielleicht, so eine Vermutung, handelte es sich bei der älteren Dame mit der grossen Brille hinten an der Bar im kleinen Club um Yoko Ono …
Das Leben schnurrt geräuschlos vor sich hin
Eine andere Stadt, eine andere Zeit. Heinz Strunk, Jahrgang 1962, lässt seinen Roman «Jürgen» in Hamburg spielen. Die Titelfigur ist in ihren Vierzigern und lebt mit der pflegebedürftigen Mutter in einer Wohnung. Bei Jürgen Dose handelt es sich um einen Wiedergänger, eine Kunstfigur aus Heinz Strunks früheren Werken. Jetzt hat Jürgen zusammen mit Freund Bernd einen ganzen Roman bekommen.
Jürgen betreut als Berufspförtner eine Tiefgarage mit gut 1400 Stellplätzen. Privaten Kontakt pflegt er mit Bernd, dem Freund im Rollstuhl. Beide sind sie auf Brautschau. Sie lassen sich auf Speed-Datings ein und werden schliesslich Opfer einer kommerziellen Verkupplungsaktion in Polen. Jürgen lebt nach Maximen aus Ratgebern und Lebenshilfe-Büchern. Was er aus zweiter Hand aufgenommen hat, wird zum eigenen Denken: «Frauen wollen stets nur das, was sie nicht haben können.» – «Alles kann einem passieren, und vor allem nichts.» – «Das ganze Leben besteht aus nichts als Versäumnissen. Traurig.»
Nur so viel soll es sein an Erwartungen: «Einmal, so stelle ich es mir vor, kommt der Punkt, an dem alles, aber wirklich alles verbessert und geregelt ist und das Leben nahezu geräuschlos vor sich hin schnurrt.»
Schriftsteller Heinz Strunk schöpft aus dem Tragischen das Sanft-Humorvolle. Seine Protagonisten sind traurige Clowns und komische Käuze, Gestalten mit einer Sprache, die eigentlich nicht ihre eigene ist. Strunk zeigt diese Welt, denunziert seine Figuren aber nie, in einem ebenso berührenden wie unterhaltsamen Roman von verzweifelt-melancholischem Witz.
Bücher
Thomas Brussig
«Beste Absichten»
192 Seiten
(S. Fischer 2017).
Heinz Strunk
«Jürgen»
256 Seiten
(Rowohlt 2017).