Wer in London vom Piccadilly Circus zum Green Park spaziert, passiert einen klassizistischen Palast: die Royal Academy of Arts. Die Porträtistin Angelika Kauffmann war Ende des 18. Jahrhunderts eines der Gründungsmitglieder dieser Institution, die seither die britische Kunstszene massgeblich mitprägt.
Vor allem aber verstand es Kauffmann, aus der Malerei ein Geschäft zu machen. Die deutsche Kunsthistorikerin Gabriele Katz hat sich nun im Buch «Eine Ikone weiblicher Kunst» der Biografie dieser ausserordentlichen Frau angenommen. Kauffmann kam 1741 in Chur zur Welt und wuchs im damals schweizerischen Veltlin auf. Ihre Eltern förderten sie frühzeitig als Künstlerin.
In Zeiten des Umbruchs in England
Kauffmanns Vater malte selber, allerdings ohne kommerziellen Erfolg. Tochter Angelika erkannte indes früh, dass sich von der Malerei gut leben liess, wenn wohlhabende Kunden dafür zahlten. Mit Verstand und kommerziellem Scharfsinn vermochte sie sich auf dem Kunstmarkt durchzusetzen.
Ihre späteren Lebensjahre verbrachte sie mit ihrem Ehemann, dem italienischen Maler Antonio Zucchi, in Venedig, Rom und Neapel. Die Autorin konzentriert sich in ihrem Buch auf Kauffmanns Londoner Lebensabschnitt. Die junge Künstlerin weilte dort von 1766 bis 1781. Soziale Unruhen läuteten unter der schwachen Regentschaft von George III. tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen in England ein.
Kurze Zeit nach dem siebenjährigen Krieg trennten sich 13 US-Kolonien vom Mutterland. Und noch immer litten Katholiken in Grossbritannien unter Ressentiments. Das waren schlechte Voraussetzungen für eine Zugewanderte, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen wollte. Doch sie ging von Beginn weg zielstrebig vor, etwa auf der Suche nach einem Atelier: «Im Raum mit dem günstigsten Licht würde sie ein Podest für die Porträtsitzungen einbauen lassen. Im zweiten konnte sie ihre Bilder hängen …» Sie richtete das Lokal gleich als kleine Galerie ein.
Kauffmann setzte früh auf Bekanntschaften in der kulturellen Elite. Grössen wie der Künstler Joshua Reynolds, der Literat Samuel Johnson oder der Schauspieler David Garrick gehörten zu ihren Kunden. Das Königshaus liess von ihr die deutsche Prinzessin Augusta Friederike Luise mit ihrem Kleinkind ins Bild setzen.
Dennoch musste Kauffmann um ihre Anerkennung als Künstlerin kämpfen. So ziemte es sich damals für Frauen nicht, Historienbilder zu malen. Kauffmann kümmerte das nicht. Sie stellte sie trotzdem aus.
Porträt als Souvenir für Wohlbetuchte
Gabriele Katz hat eine anschauliche Biografie geschrieben, die streckenweise Kauffmanns Leben nachvollziehbar macht. Etwa wenn Katz von der Eröffnung der Royal Academy schreibt, deren Räumlichkeiten sich in den letzten 200 Jahren kaum veränderten: «Licht flutete gleichmässig durch grosse Fenster unter der Decke durch den Raum. Die Bilder hingen in mehreren Reihen übereinander.»
Nach ihrer Zeit in London lebte Kauffmann in Italien und entdeckte ein neues Geschäftsmodell. Sie malte die wohlbetuchten Engländer auf ihrer Grand Tour durch den Süden. Diese brachten ihre Porträts stolz zurück auf die Insel – ganz wie wir es heute mit unseren iPhone-Fotos tun. Rolf Hürzeler
Gabriele Katz
Angelika Kauffmann – Eine Ikone weiblicher Kunst
360 Seiten (Südverlag 2022)