1955 wurde in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Mississippi ein 14-jähriger schwarzer Junge ermordet, weil er angeblich mit einer weissen Frau geflirtet haben soll. Emmett Tills Mutter zeigte den verstümmelten Leichnam ihres Sohnes der Öffentlichkeit, die erschütternden Bilder brannten sich ins Gedächtnis vieler US-Amerikaner ein.
Mit feinem historischen Gespür
In seinem neuen, für den Booker Prize 2022 nominierten Roman «Die Bäume» holt Percival Everett diese grausamen Ereignisse, die dazu beitrugen, die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung zu entfachen, in die Gegenwart. Mit feinem historischen Gespür spannt er einen Bogen von der damals in den Südstaaten vielerorts praktizierten Lynchjustiz zur rassistisch motivierten Polizeigewalt von heute.
In Money, wo Emmett Till gelyncht wurde, werden mehrere weisse Männer tot und fürchterlich entstellt aufgefunden. Wie sich schnell herausstellt, sind es die Nachfahren der Männer, die vor Jahrzehnten Till töteten, für ihre Tat aber nie eine Haftstrafe verbüssten.
Bald häufen sich bundesweit ähnliche Fälle. Ed Morgan und Jim Davis, zwei gewiefte schwarze Special Detectives, übernehmen die Ermittlungen. Dabei sehen sie sich nicht nur mit rätselhaften Vorfällen, sondern auch mit mal mehr, mal weniger kaschiertem Rassismus konfrontiert.
Mit scharfsinnigem Humor erzählt Everett einen politisch brisanten Krimi, verknüpft klug reale Geschehnisse mit Satire- und Horror-Elementen. Grauen und Slapstick wechseln sich ab. So schafft es der 66-jährige Autor, der als Englischprofessor in Los Angeles lehrt, ein tiefgreifendes Kapitel der US-Geschichte in einem – dank cineastischen Sequenzen – rasant erzählten Roman zu beleuchten.
Kurzweilig, düster und schwarzhumorig
Trotz der traurigen Thematik setzt Everett auf einen flapsigbissigen Ton, der auch in der Übersetzung von Nikolaus Stingl überzeugt. Ähnlich wie im Horrorfilm «Get Out» von Jordan Peele oder in der Amazon-Serie «Them» sind die weissen Rassisten hier die Monster. Everett zeichnet sie als groteske Karikaturen mit albernen Namen wie McDonald McDonald oder Braden Brady.
Verpackt in einen kurzweiligen, düsteren und schwarzhumorigen Krimi lässt er die Gräueltaten von damals Revue passieren. Im Lauf der Untersuchungen treffen die Ermittler auf die mysteriöse 105-jährige Mama Z, die eine Akte über jede Person, die in den USA seit 1913 gelyncht wurde, angelegt hat. «Weniger als ein Prozent aller Lynchmörder wurde je eines Verbrechens für schuldig befunden», stellt sie fest. «Und von denen hat nur ein Bruchteil jemals eine Strafe verbüsst.»
Diese erschütternde Bilanz führt Everett den Lesern deutlich vor Augen, indem er eine Figur mehrere hundert Namen von Opfern der Lynchjustiz auflisten lässt. Durch diese Aufzählung und die stete Wiederholung des immer gleichen Tathergangs wird die Brisanz auch fast 70 Jahre nach dem Tod von Emmett Till schmerzhaft deutlich.
Buch
Percival Everett - Die Bäume
Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl 368 Seiten (Hanser 2023)