«Alles passiert gleichzeitig, und alles wirkt sich auf alles andere aus. Wie soll man da nicht wahnsinnig werden?» Wer in Sven Pfizenmaiers fantastische, irrwitzige Welt eintaucht, kann leicht den Überblick verlieren.
Seine liebenswert skurrilen Figuren erleben ein bizarres Abenteuer nach dem anderen: Meikel, der kein gesundes Mittelmass kennt, und dessen Kumpel Eddi, ein Schwätzer und notorischer Lügner, suchen in Brandenburg nach Meteoriten, in einem geschlossenen Berliner Szene-Club nach Geistern und überall nach sich selbst.
Wie schon in seinem überbordenden Debüt «Draussen feiern die Leute» (2022), zeichnet Pfizenmaier in «Schwätzer» eine verzerrte Wirklichkeit, verknüpft Fantasiewelt mit Gegenwart, Traum mit Realität.
Klug baut der deutsche Autor, 1991 im niedersächsischen Celle geboren, seinen neuen Roman auf, spielt mit Perspektivenwechseln und überrascht mit absurden Bildern und verrückten Einfällen.
Was in aller Welt führt eine ominöse Gruppe profitgieriger Zahnärzte aus Mecklenburg-Vorpommern im Schilde? Was haben die Sprösslinge venezianischer Fährleute in der Uckermark damit zu tun? Und wofür ist das «Bundesministerium für Irreales» zuständig?
Alle wollen hier noch ein bisschen glücklicher sein
Konkrete Antworten auf diese Fragen sollte man nicht erwarten. Denn die beiden Protagonisten sind nicht unbedingt die zuverlässigsten Erzählstimmen, Meikel und Eddi sind zwei ehemalige Drogenabhängige.
Auch der mysteriöse Ich-Erzähler, zerfressen von Selbstzweifeln, scheint es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen, und sogar der Autor selbst verfügt über eine blühende Fantasie. So drängt sich zunehmend die Frage auf: Wer ist hier eigentlich der Schwätzer? Und was ist an dieser offensichtlich fiktionalen Geschichte überhaupt «wahr»?
Hinter den surrealen Ereignissen blitzt immer wieder eine zwar humorvoll verpackte, aber ernst gemeinte Gesellschaftskritik auf. Dabei beschäftigen Pfizenmaier ähnliche Themen wie in seinem Debütroman – und das sind ziemlich viele: Es geht um Einsamkeit, Suchtbewältigung und mentale Gesundheit, um Zukunftsängste, Dating und Freundschaften, aber auch um den Ausverkauf Berlins.
Alle wollen hier noch ein bisschen glücklicher sein, «das meiste aus dem Leben herausholen». Und so ist «Schwätzer» nicht zuletzt auch eine scharfsinnige, moderne Kapitalismuskritik, die sich am Ende aber leider im irrealen Fantasiekonstrukt des Romans verliert. Alles passiert hier eben gleichzeitig. Das ist zwar unterhaltsam, aber auch verwirrend.
Sven Pfizenmaier
Schwätzer
288 Seiten
(Kein & Aber 2024)