Roman: Von der Hatz auf die Täufer
Der Basler Schriftsteller Werner Ryser lässt in seinem neuen Buch «Das Ketzerweib» die Täuferbewegung
aufleben. Es gibt sie noch immer.
Inhalt
Kulturtipp 24/2016
Letzte Aktualisierung:
21.11.2016
Rolf Hürzeler
Heute heisst das Folterhaft; Ende des 17. Jahrhunderts war sie Gefängnisalltag. Wie etwa im Verlies von Trachselwald im Emmental: «Dann nahm er ihr die Handfesseln ab und legte ihr stattdessen eine eiserne Schelle um das rechte Fussgelenk. Es war stockdunkel.» So gepeinigt musste Anna Jacob tagelang ausharren, stets in der Angst, dass sie nicht mit dem Leben davonkommen wird. Denn Anna Jacob war eine Täuferin, wenn auch keine überzeugte, die jedoch zu ihrem ber...
Heute heisst das Folterhaft; Ende des 17. Jahrhunderts war sie Gefängnisalltag. Wie etwa im Verlies von Trachselwald im Emmental: «Dann nahm er ihr die Handfesseln ab und legte ihr stattdessen eine eiserne Schelle um das rechte Fussgelenk. Es war stockdunkel.» So gepeinigt musste Anna Jacob tagelang ausharren, stets in der Angst, dass sie nicht mit dem Leben davonkommen wird. Denn Anna Jacob war eine Täuferin, wenn auch keine überzeugte, die jedoch zu ihrem bereits verurteilten Mann stand, einem Prediger.
Diese Szene schildert der Basler Autor Werner Ryser in seinem neuen Roman «Das Ketzerweib». Er schreibt darin von der Hatz auf eine kleine religiöse Widerstandsgruppe, die sich gegen Obrigkeit und Kirchenlehre auflehnte. Ihre Anhänger nannten sich Täufer, Wiedertäufer oder Mennoniten und nahmen das Wort Gottes in der Bibel möglichst genau. Sie verurteilten die Säuglingstaufe, weil sich Jesus erst als Erwachsener taufen liess. Ein Christ könne nur im urteilsfähigen Alter seinen wahren Glauben erkennen. Zudem bekannten sich diese Täufer zu einem radikalen Pazifismus und weigerten sich, eine Waffe in die Hand zu nehmen.
Gemeinsamer Kampf mit den Bauern
Laut Schriftsteller Ryser gaben weniger theologische Differenzen mit den Reformierten Anlass zur Verfolgung der Abtrünnigen: Der Autor ordnet die Täuferbewegung vielmehr als sozial-revolutionär ein, sie wollten nur Gott und keiner weltlichen Obrigkeit dienen, wie er in einem Aufsatz über die Geschichte der Gemeinschaft schreibt. Tatsächlich führten die Täufer und die schikanierten Bauern nach deren Aufstand 1653 einen gemeinsamen Kampf gegen die Berner Patrizier. Diese Landleute wehrten sich unter ihrem Emmentaler Führer Niklaus Leuenberger gegen zu hohe Steuerlasten, die ihnen Städte wie Zürich, Bern und Luzern abverlangten.
Die Täufer der ersten Stunde kamen nicht aus dem Emmental; sie fanden sich im 16. Jahrhundert im damaligen Bauerndorf Zollikon bei Zürich, als ihnen die Reformatoren Zwinglis zu wenig radikal waren. Gleich von Beginn weg riskierten sie als Ketzer Kopf und Kragen. Genauso erbarmungslos, wie die Katholiken mit den Protestanten umsprangen, nahmen sich diese ihrerseits den Täufern an.
Verbannung auf den Mont Soleil
Ryser stellte die Bäuerin Anna Jacob in den Mittelpunkt seiner Geschichte. Nach der Verurteilung ihres Mannes zur Zwangsarbeit auf den Galeeren in venezianischen Diensten musste Anna, das «Ketzerweib», schwer unten durch. Ausgerechnet der geile Dorfpfaff nutzte ihre Verletzlichkeit aus und nötigte sie zu sexuellen Lustbarkeiten. Obendrein verbrachte sie acht Tage lang bei Wasser und Brot in dem Verlies, bis sie ebenfalls zur Verbannung von Haus und Hof verurteilt wurde und auf den Sonnenberg in den heutigen Berner Jura ziehen musste.
Autor Ryser sagt nicht, dass sich die Geschehnisse damals exakt so zugetragen hätten, wie er in seinem Roman schreibt, «aber Anna musste tatsächlich zwangsweise auf den Mont Soleil ziehen». Die historische Anna Jacob war neun Generationen früher eine Vorfahrin Rysers. «Eine Verwandte betreibt hobbymässig Genealogie und machte mich auf diese ungewöhnliche Geschichte der Anna Jacob aufmerksam, die erwiesenermassen eine Täuferin war und wie viele ihrer Glaubensgenossen aus dem Emmental in den Jura vertrieben wurde.» Der Kanton Bern hatte damals auf diese Gebiete keinen Zugriff.
Fachliche Unterstützung fand Ryser beim Täufer-Pfarrer Michel Ummel. Er nennt sich ein «Ältester», wie seine Glaubensgenossen ihren Seelenhirten noch heute sagen. Gesellschaftliche Diskriminierung erlebten die Wiedertäufer heute nicht mehr, sagt Ummel, der auf dem Sonnenberg unterrichtet. Die letzten gesellschaftlichen Hürden für sie fielen mit der Einführung des Zivildienstes: «Zuvor absolvierten wir waffenlosen Dienst, andere verweigerten das Aufgebot ganz und wurden verurteilt.» Heute profitierten die Täufer in der Gesellschaft dagegen von einem «Exotenbonus»: «Die politischen Gemeinden im Jurabogen schätzen unsere Anwesenheit hier.» Von so viel Anerkennung konnten die unselige Anna Jacob und ihre Mitstreiter nur träumen.