Ein emporschiessender zarter Vogel aus Bronze ist der Ausgangspunkt im Roman «Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen». An ihm entbrennt 1926 am Zoll in New York die Frage: Ist das Kunst, oder muss das Werk als Manufakturware verzollt werden?
Der Pariser Künstler Constantin Avis lässt sich davon nicht beirren und stürzt sich ins New Yorker Leben der Roaring Twenties. Auch als er erfährt, dass sein Galerist, der ihm eine Einzelausstellung widmen wollte, gestorben ist, verlässt ihn nicht der Mut. Und da ist auch noch die Galerie Assistentin Lidy, die ihn in einen regelrechten Schwindel versetzt ...
Diese Geschichte, inspiriert vom Werk des rumänischfranzösischen Bildhauers Constantin Brancusi (1876–1957), verknüpft Grigorcea mit der Erzählung rund um die Autorin Dora. 100 Jahre später will sich diese bei einem Schreibaufenthalt an der ligurischen Küste Avis’ Geschichte widmen und die Frage, wie Kunst entsteht, erörtern. Nur ihr Sohn, betreut von einem Kindermädchen, sorgt für Ablenkung.
Grigorcea wechselt mühelos zwischen den beiden Erzählsträngen, Szenerien und Jahrhunderten: So wohl den Besuch in einem New Yorker Stummfilmkino, in dem das Publikum lautstark am Leinwand geschehen teilnimmt, als auch den beschwingten mediterranen Küstenspaziergang beschreibt sie in üppigsinnlichen Bildern. Aus Paris hat sie dem kulturtipp ein paar Fragen beantwortet.
4 Fragen an Dana Grigorcea
Ihre beiden Figuren stellen sich die Frage, was Kunst ist. Wie beantworten Sie die Frage für sich?
Dana Grigorcea: Am Ende meines Romans gibt es einen Prozess, in dem genau diese Frage verhandelt wird. Diesen Prozess hat es in den 1920ern tatsächlich gegeben. Das Spannende ist, dass die Aussagen über die Kunst 100 Jahre später immer noch die gleichen sind. Nur manchmal sind die Anhänger der Dinglichkeit stärker, andere Male die Stilisten. Was Kunst für mich ist, beschreibe ich mit Avis’ Vogel aus polierter Bronze: Es ist ein Aufstreben und zugleich ein Angebot zur Spiegelung.
Ihren Figuren geht es auch um das Schöne in der Kunst. Soll Kunst nicht auch politisch sein oder gesellschaftliche Konflikte spiegeln?
Meinen Protagonisten geht es um den eigenen Ausdruck, und diese Suche ist ein hochpolitischer Akt. Ausserdem leben die beiden Künstler am Rande der Gesellschaft und werden mit ihrer Kunst in deren Mitte katapultiert. Auch Gesellschaftsklassen sind ein politisches Thema! Ebenso die Überlegung, dass Kunst einem kleinen Kreis von sozial Privilegierten vorenthalten sein könnte. Mein neuer Roman ist nicht minderpolitisch als mein vorangegangener, ein Gesellschaftsroman mit Vampiren.
Wie haben Sie recherchiert?
Mit Constantin Brancusis Kunst bin ich aufgewachsen, und ich habe alle grossen Ausstellungen mit seinen Werken gesehen, letzte Woche etwa im Centre Pompidou. Über die Roaring Twenties in New York habe ich viel gelesen. Ich liebe Stummfilme, die Musik und Tänze dieser Zeit. Auch die Entwicklungen in der Auto und in der Parfümindustrie, in der Architektur und im Städtebau inte ressieren mich. Ich möchte die Leser in eine andere Dimension katapultieren. Eine, die zwar der ähnelt, die wir uns vorstellen können, aber die doch leicht entrückt ist und ein wenig wehmütig stimmt.
Auch den Schreibaufenthalt Ihrer Protagonistin in Ligurien schildern Sie in sinnlichen Bildern…
Ich liebe die ligurische Küste mit ihrem Licht, ihren Düften und Geräuschen. Mir ging es darum, einen künstlerischen Prozess zu schildern. Man kann das Buch auch als Poetologie lesen – in unterhaltsamen Geschichten, statt wie sonst in trockenen Exkursen. Mit Doras Geschichte erzähle ich auch meine Geschichte als Künstlerin und Mutter, von der Zerrissenheit zwischen Schaffenswillen und schlechtem Gewissen.