Was ihre Lehrer von damals wohl denken? Und Nicole, eine einstige Freundin? Erstere beschimpft Stefanie Sargnagel in ihrem Buch «Dicht: Aufzeichnungen einer Tagediebin» als «despotische Ungeheuer», Letztere wird als «intrigante Soziopathin» verunglimpft. Die strahlenden Protagonisten sind hingegen Dealer, Arbeitslose und Alkoholabhängige, Schulschwänzer und Kiffer.
Die heute 35-jährige Wienerin Stefanie Sargnagel, die mit bürgerlichem Namen Sprengnagel heisst, pflegte in ihrer Jugend einen ungewöhnlichen Umgang. In ihrem Debüt schildert die Autorin und Cartoonistin ihren Alltag zwischen 15 und 20 Jahren. Wie viele Teenager betrachtet sie das Schulsystem als eine sinnlose Zumutung. Was für die junge Rebellin zählt, sind «Zeichnen, Freunde, Abenteuer, Diskussionen».
Pointierte Porträts kauziger Figuren
Und so probiert sie sich jenseits gesellschaftlicher Erwartungen aus, zelebriert den Exzess. Unbedarft lässt sie sich durchs Leben treiben. Nach dem Unterricht, an dem sie immer seltener teilnimmt, hängt sie in Kneipen ab. In diesen «Beisln» in Währing, Wiens 18. Bezirk, in Stadtparks oder vor dem Club «Flex» lernt sie unterschiedliche Menschen kennen. Ihre radikale Weltanschauung und ihr Status als Aussenseiter eint sie. Vor allem der wortgewandte Michi, mit Ende 30 fast doppelt so alt wie Sargnagel, wird zu einem Ersatzlehrer. «Seine besoffene Verrücktheit besass eine ganz eigene Art von Verve», schreibt sie. Ein lebenskluger Weltenbummler und spitzbübischer Kleinkrimineller, aber auch ein aufmerksamer Gesprächspartner, dessen 30-Quadratmeter-Wohnung zum familiären Treffpunkt der bunten Truppe wird.
Viele dieser Zufallsbekanntschaften, darunter Drogenabhängige, psychisch Kranke und ein Rosenverkäufer, sind Existenzen, die am Rande der Gesellschaft leben. Sargnagel rückt sie ins Zentrum ihrer Erzählung. Die pointierten Porträts der kauzigen Figuren, die mitunter an die liebenswerten Junkies aus Irvine Welshs Roman «Trainspotting» erinnern, bleiben im Gedächtnis haften. Ihre Beobachtungen beschreibt sie mit messerscharfen Worten, in einer derben und vom Wiener Dialekt gefärbten Sprache. In lakonischem, fast schnodderigem Ton gewährt sie Einblicke in ihre damalige Gedankenwelt. Die harte Schale der jungen Ich-Erzählerin zeigt nur selten zarte Risse.
Neben der spürbaren Zuneigung für ihre Freunde bleibt die Liebe meist auf der Strecke. Eine «Mischung aus Anmache und gleichzeitiger Demütigung» ist für die Heranwachsende ein gewohntes männliches Verhalten. «Nie wieder bin ich von so skurrilen alten Männern bedrängt worden wie mit 15», schreibt sie in nüchternem Ton.
Die kurzweiligen, oft unzusammenhängenden Episoden verdichten sich zu einem ebenso komischen wie rauen Entwicklungsroman. Zwischendurch weist Sargnagel in die Zukunft, erwähnt in Nebensätzen, was aus den Figuren geworden ist. Einige scheinen ein bürgerliches Leben gewählt zu haben, für andere gibt es ein tragisches Ende.
Dicht – Aufzeichnungen einer Tagediebin
Stefanie Sargnagel
256 Seiten
(Rowohlt 2020)