«Graues Brot» heisst der erfolglose Roman «für Freunde absonderlicher Unterhaltung», den Lukas Linders Hauptfigur Anatol geschrieben hat. Und nach grauem Brot fühlt sich auch sein Leben an. Der 35-Jährige schlägt sich mehr schlecht als recht durch, frei nach dem Motto: «Er musste einfach daran glauben, dass alles gut wurde, da schlichtweg nichts darauf hindeutete.» Eigentlich will Anatol als Schriftsteller gross rauskommen, doch der Erfolg lässt auf sich warten, und er verdingt sich als Allrounder im Altersheim. Und natürlich herrscht auch im Liebesleben Flaute, abgesehen von der missglückten Annäherung an die rabiate Buchhändlerin Bernadette.
Vortrag über «Facebook der Pilze»
Ein einsamer Antiheld durch und durch, das wird in jeder Zeile spürbar, sogar, wenn er bloss mit dem Boot den Rhein überqueren will: «Das Boot zuckte erschrocken zusammen, als er seinen rechten, ungenügend durchbluteten Fuss darauf setzte, gefolgt von dem Rest seines dürren, zu einem grossen Fragezeichen verbogenen Körpers. Der Himmel blies Trübsal, das andere Ufer drehte ihm den Rücken zu.»
In dieser Misere kommt Anatol der Vorschlag des uralten Herrn Gustav aus dem Altersheim gerade recht: Er soll für den ehemaligen, inzwischen leicht übergeschnappten Wissenschafter ins polnische Lodz fahren, um dessen bahnbrechende Erkenntnisse über das «Facebook der Pilze» an einer Konferenz vorzutragen. Und obwohl der verkappte Schriftsteller auf einen Stipendienaufenthalt in New York gehofft hatte, nimmt er das Angebot an und sagt sich: «Die Wirklichkeit war das, was man anstelle seiner Träume lebte.»
Eine wahrlich triste Ausgangslage, die Lukas Linder in seinem neuen Roman «Der Unvollendete» entwirft. Er beschreibt dieses graue Dasein aber mit so viel Sinn fürs Skurrile und für Situationskomik, dass die Leser seiner tragikomischen Figur dennoch gerne nach Lodz folgen. Dort erlebt Anatol bei seinem Vortrag über kommunizierende Pilze zwar eine unerwartete Sternstunde, doch auch in Polen entsprechen seine hochfliegenden Träume nicht so ganz der Realität, und er landet wieder einmal unsanft…
Siegertypen interessieren Linder nicht
Der Schaffhauser Lukas Linder, der sich als Theaterautor einen Namen gemacht hat, hat sein Flair fürs Schräge und Groteske bereits in seinem ersten Roman «Der Letzte meiner Art» bewiesen. Inzwischen lebt er mit seiner Frau und dem kleinen Sohn selbst in Lodz. Seine Figur Anatol sei für ihn eine Art Cousin, zu dem er zwar Distanz habe, aber der dennoch mit dem eigenen Leben zu tun habe, sagte Linder in einem Interview. Siegertypen interessieren ihn für seine schriftstellerische Arbeit nicht. Vielmehr vermag er die menschlichen Schwächen anhand von Suchenden – oder eben «Unvollendeten» – auf humorvolle Weise herauszuschälen.
Lesungen
Sa, 24.10., 17.30 Karl der Grosse Zürich («Zürich liest»)
So, 25.10., 15.00 Kunsthaus Zofingen AG (Literaturtage)
Fr, 30.10., 18.30 Kulturzentrum Schützi Olten SO (Buchfestival Olten)
Buch
Lukas Linder
Der Unvollendete
288 Seiten
(Kein & Aber 2020)