Roman: Tod in der Wüste
Laila Lalamis vielstimmiger Roman «Die Anderen» ist die Geschichte einer Einwandererfamilie, aber auch Krimi und kritisches Gesellschaftsporträt: Ein Buch zum Verschlingen.
Inhalt
Kulturtipp 07/2021
Babina Cathomen
Am Anfang steht eine schreckliche Nachricht: Nora Guerraoui erfährt vom Tod ihres geliebten Vaters – er wurde in der Nacht vor seinem Restaurant überfahren, der Täter ist flüchtig. An ein Unglück will die junge Komponistin Nora nicht glauben, vielmehr vermutet sie Mord an ihrem Vater, der mit seiner Frau 1981 aus Marokko in die USA eingewandert ist und oft angefeindet wurde. Sie reist zu ihrer Mutter und Schwester in ihren Heimatort in der kalifornisch...
Am Anfang steht eine schreckliche Nachricht: Nora Guerraoui erfährt vom Tod ihres geliebten Vaters – er wurde in der Nacht vor seinem Restaurant überfahren, der Täter ist flüchtig. An ein Unglück will die junge Komponistin Nora nicht glauben, vielmehr vermutet sie Mord an ihrem Vater, der mit seiner Frau 1981 aus Marokko in die USA eingewandert ist und oft angefeindet wurde. Sie reist zu ihrer Mutter und Schwester in ihren Heimatort in der kalifornischen Mojave-Wüste, wo sie trotz ihrer tiefen Trauer den genauen Hergang des Unfalls aufklären will.
Fingerzeig auf Alltagsrassismus
Laila Lalami hat mit ihrem vierten Roman, der auf der Shortlist des National Book Award stand, eine packende Geschichte geschrieben, die sie aus neun unterschiedlichen Perspektiven aufrollt: Zu Wort kommen nebst der Hauptfigur Nora etwa ihre Mutter Maryam, der heimliche Zeuge Efraín, der feindlich gesinnte Restaurant-Nachbar Anderson oder Noras alter Schulfreund Jeremy, den sie nach vielen Jahren wieder trifft und der sie auf eine ihr bisher unbekannte Weise zu berühren vermag. Auch der Tote, ihr Vater Driss, erhält eine Stimme und ermöglicht so einen Blick in die Vergangenheit in Casablanca und auf das neue Leben in Kalifornien, das sich nicht so einfach gestaltete wie erhofft.
Mit dem Titel «Die Anderen» («The Other Americans») weist die Schriftstellerin und Uniprofessorin aus Los Angeles, die in Marokko aufgewachsen ist, auf den unterschwelligen oder zuweilen auch unverblümten Alltagsrassismus hin, dem die Familie Guerraoui ausgesetzt ist. Mit ihrer dunkleren Hautfarbe, dem unaussprechlichen Nachnamen und der fremden Herkunft bleiben sie in den Augen der Einheimischen auch nach Jahrzehnten anders – und die Terroranschläge von 2001 haben die Aggressionen gegenüber Arabern wesentlich verstärkt, wie in den Erinnerungen der einzelnen Familienmitglieder deutlich wird. «Ich hatte in dieser Stadt früh gelernt, dass die Brutalität eines Mannes mit Namen Mohammed nur selten in Zweifel gezogen wurde, seine Menschlichkeit dagegen immer erst bewiesen werden musste», sagt etwa Nora.
Raffiniert konstruierte Geschichte
So ist Laila Lalamis Roman nicht nur Familiensaga, Krimi und Liebesstory, sondern auch ein kritisches Gesellschaftsporträt, das mit einer raffiniert konstruierten Geschichte fesselt.
Laila Lalami
Die Anderen
Aus dem US-Amerikanischen von Michaela Grabinger
432 Seiten
(Kein & Aber 2021)