Bambi versteht die Welt nicht mehr. Immer und immer wieder hatte er seiner Freundin erklärt, dass ein Mann nicht dafür geschaffen sei, sich an eine einzige Frau zu binden. Wieso regte sie sich jetzt also über einen pikanten Whatsapp-Chat auf?
Der Ich-Erzähler von Oyinkan Braithwaites zweitem Roman «Das Baby ist meins» ist ein eingebildeter Macho. Im Verlauf der kompakten Erzählung gerät er zwischen die Fronten von zwei meinungsstarken Frauen. Denn nachdem ihn seine Freundin mitten im Lockdown aus ihrer Wohnung in der nigerianischen Millionenmetropole Lagos geworfen hat, findet der 28-Jährige bei seiner Tante Bidemi Unterschlupf. Doch die ist nicht allein. Ausgerechnet Esohe, die Geliebte von Bambis vor kurzem an Corona verstorbenem Onkel, wohnt ebenfalls in dem Bungalow.
Ein Gigolo wird zum Säuglingspfleger
Die Frauen streiten sich um das im Romantitel erwähnte Baby Remi: Beide behaupten, die Mutter zu sein. Und so gerät Bambi in die Rolle eines Vermittlers und sieht sich sogar genötigt, sich um den Säugling zu kümmern. Doch weder diplomatisches Geschick noch das Wechseln von Windeln gehören zu den Stärken des Gigolos.
Flüchtiger Einblick in das Leben in Lagos
Humorvoll führt Oyinkan Braithwaite, die in Lagos und London aufgewachsen ist, typische Geschlechterrollen vor. In einfacher Sprache und schnellem Tempo verdichtet sie das häusliche Drama zu einem vergnüglichen Kammerspiel. Im beengten Bungalow riecht es nach gekippter Milch und Insektiziden. Die niedrigen Decken, Staub und endlose Teppiche beklemmen Bambi, ein ständig krähender Hahn im Garten zehrt an seinen Nerven. Er fühlt sich zunehmend eingesperrt und von der Aussenwelt abgeschnitten. Lediglich seine Schwester und ein befreundeter Arzt stehen ihm in seinem Corona-Käfig telefonisch zur Seite.
Die Pandemie gibt lediglich die strukturellen Rahmenbedingungen der Novelle vor. Im Kern geht es um die Schicksale zweier unterschiedlicher Frauen. Bereits in Braithwaites Debütroman von 2018, «Meine Schwester, die Serienmörderin», standen zwei starke weibliche Figuren im Mittelpunkt. Der schwarzhumorige Krimi, der ernste Themen wie familiären Missbrauch streift, entwickelte sich zu einem Welterfolg. Wie der Vorgänger gewährt auch die Kurzerzählung einen flüchtigen Einblick in das Leben in der nigerianischen Grossstadt. So fällt im Haus ständig der Strom aus, in Lagos keine Seltenheit. Doch die Autorin aus Nigeria will sich nicht als Stimme ihrer Nation verstanden wissen. Eine «universelle nigerianische Erfahrung» gebe es ohnehin nicht, sagte sie in einem Interview mit dem «Guardian». Zu gross ist die Kluft zwischen den unterschiedlichen Klassen und Kulturen, die auf verschiedene Volksstämme zurückgehen.
Am Ende bleibt nur ein Ausweg
Diese kulturellen Differenzen werden auch in der Novelle angedeutet, wenn sich die beiden Frauen, von denen eine dem Volk der Yoruba angehört, über den korrekten Namen des Babys streiten und eine von ihnen Stammeszeichen in dessen Wangen ritzt. Die Frauen sind in diesem Buch keinesfalls fehlerfrei, die Situation droht zu eskalieren. Und so sieht Bambi, der verzweifelte Süssholzraspler, am Ende nur einen Ausweg.
Oyinkan Braithwaite
Das Baby ist meins
128 Seiten
(Blumenbar 2021)