Ein Buch des Wiener Autors Robert Seethaler ist meist ein Garant für eine poetisch-feinfühlige Lektüre, die Humor und Melancholie vereint: Darin reiht sich sein neuer Roman «Das Feld» ein, in dem er unterschiedliche Lebensgeschichten zu einem grossen Ganzen verwebt. Seine Figuren haben zwei Dinge gemeinsam: Sie stammen aus der Kleinstadt Paulstadt – und sie sind tot. Buchstäblich aus dem Grab heraus blicken sie auf ihr Leben zurück.
«Was bleibt von einem Leben? Was bleibt von einem Menschen? Was wird aus seinen Erinnerungen?» Diese Fragen haben Seethaler schon im Roman «Ein ganzes Leben» beschäftigt. Um sie geht es ihm auch im neuen Werk: Der Autor widmet jeder der rund 30 Figuren ein kurzes Kapitel. Und es wird deutlich, dass die Toten in der Rückschau klarer sehen als in ihrer Zeit als Lebende.
Dramatisches, aber auch Feinheiten des Alltags
Zum Beispiel Heide Friedland: Die Pragmatikerin lässt ihre 67 Männer Revue passieren – Romantiker und Biedermänner, solche mit Schnauzbart oder mit kalten Füssen, Schöne und Alte, Träumer und Beamte. Sie erinnert sich an die Besonderheiten jedes Einzelnen. Und doch hat sie nur einen geliebt, was sie sich selbst aber nicht eingestand: «Du warst weder schön noch interessant noch sonst irgendwie auffällig. Du warst normal. Ich habe nie begriffen, wie du mir passieren konntest.»
Oder Pfarrer Hoberg: Früh Waise geworden, ist der stille junge Mann auf der Suche nach einem Halt im Leben. Geborgenheit empfindet er einzig in der Kirche. Mit dem Eintritt ins Priesterseminar hat seine Suche ein Ende. Später versucht er, als Pfarrer in Paulstadt seine Schäfchen vom Glauben zu überzeugen. Irgendwann kippt er in religiösen Wahn: Der bis anhin unscheinbare Pfarrer lässt seine Kirche in Flammen aufgehen – er selbst ist mittendrin.
Nicht alle Geschichten enden mit dieser Dramatik. Meist erzählt der Autor vom Alltag gewöhnlicher Menschen, die sich an kleine prägende Gesten und Augenblicke in ihrem Leben erinnern: eine Hand in der anderen, die Schnarchgeräusche einer lieb gewonnenen Freundin, die hauchfeinen Härchen hinter dem Ohr der Tochter.
Karger Charme einer Provinzstadt
Seethaler spinnt ein feines Beziehungsnetz, aus dem die verbindenden Elemente hervorleuchten: Die brennende Kirche oder der Einsturz eines Freizeitzentrums mit mehreren Toten tauchen als prägende Erfahrungen in verschiedenen Geschichten auf. Sie verdichten sich zum Porträt einer Kleinstadt, in welcher der eitle Bürgermeister genauso seinen Platz hat wie der arabische Gemüsehändler.
Wiederum gelingt dem 52-jährigen Schriftsteller, der mit Romanen wie «Der Trafikant» zum Publikumsliebling wurde, ein feines, stilles Buch über das Menschsein. Sprachlich bleibt Seethaler allerdings bei allen Figuren demselben Ton verhaftet. Und er weckt zwar nach wenigen Strichen das Interesse für seine Figuren, wendet sich aber schnell der nächsten zu. Als Leserin würde man gerne länger verweilen, mehr über das Leben einer Person erfahren – und sei sie noch so gewöhnlich. Denn der Autor lockt aus jeder einzelnen das Besondere hervor.
Buch
Robert Seethaler
Das Feld
240 Seiten
(Hanser 2018)