Positive Testresultate können eine negative Bedeutung haben, nicht nur bei Covid und anderen Krankheiten. Auch ein positiver Schwangerschaftstest kann mitunter schlechte Gefühle auslösen – gegenüber der Veränderung des Körpers, gegenüber den elterlichen Aufgaben und auch gegenüber dem werdenden Kind. Der Zürcher Schriftstellerin Julia Weber ging es so, als sie an ihrem zweiten Buch schrieb und ihr klar wurde, dass sie ein Kind erwartete. Sie war zwar bereits Mutter, doch die preisgekrönte Autorin identifizierte sich ganz mit dem Künstlerinnendasein. Genau dieses empfand sie nun als bedroht.
Das Umfeld ist nur eine begrenzte Hilfe
Einerseits absorbierte der Körper ihre Aufmerksamkeit und Energie, und so versiegte die produktive Eigendynamik, welche die Figuren ihres entstehenden Romans erfasst hatte. Von einer der Protagonistinnen sagt sie: «Ich habe Ruth verloren, sie sagt nichts mehr.» Andererseits war Weber verunsichert von der tiefsitzenden konventionellen Vorstellung vom Frau- und Muttersein, nach der sich die Rollen von Mutter und Künstlerin ausschliessen.Ihr Umfeld ist nur eine begrenzte Hilfe. Die beste Freundin wünscht sich nichts sehnlicher, als ihre Liebe, Zeit und Kraft einem Kind zu widmen, nur leider fehlt ihr der Partner dazu. Webers Mann muntert sie zwar auf, lässt es sich aber nicht nehmen, sich pünktlich in sein Atelier zu verabschieden, wo er sich ungestört seiner Kunst zuwenden kann.
Was also tun? Eine Therapie machen? «Oder ich lege mich in die Arme meiner Figuren, die meine Arme sind», erwägt Julia, die Erzählerin von Webers neuem Roman. Wenn es nicht möglich ist, Kunst und Leben zu trennen, schlägt sie ihrem Mann vor, «könnten wir doch auch die Kunst und den Rest des Lebens vermengen». Damit ist das poetische Prinzip genannt, das dem Buch den Titel gibt.
«Die Vermengung» wechselt zwischen Romanfragmenten und autobiografischen Passagen, Gesprächen und Briefen. Dabei schwappen die beiden Bereiche ineinander über. Weber bespricht ihr Leben mit ihren Romanfiguren. «Ich kann niemandem sagen, dass ich meinen Körper verlieren werde an dieses Kind, meine Kunst, mein Leben, dass ich es darum nicht haben kann», klagt sie gegenüber Ruth.
Weber lässt das Leben in die Kunst einbrechen. Doch postwendend schlägt die Kunst ins Leben zurück, wie Julias Diskussionen mit ihrem Mann H. zeigen. Dieser will wissen, ob der Protagonist Karl auf ihn gemünzt sei. Karl spaltet seine Gefühle ab, hat ein Alkoholproblem und schlägt seine Partnerin Linda, mit der er ein Kind hat. Linda flüchtet sich ihrerseits in rauschende Nächte, inklusive einer lesbischen Bettgeschichte.
Die Erwartungen der Gesellschaft
«Lieber H., du bist in keiner Weise Karl», versichert ihm Julia brieflich. «Aber es ist so, dass die Gesellschaft, in der wir leben, solche Karls hervorbringt.» So bringt «Die Vermengung» nicht nur Kunst und Privatleben, sondern auch gesellschaftliche Prägungen, Erwartungen und Visionen miteinander ins Spiel. Weber verfährt mit autobiografischer Schonungslosigkeit und literarischer Experimentierlust. Ihr Buch bestätigt, was Julia nach der Geburt ihrer zweiten Tochter bewusst wird: «dass der Raum der Kunst mit dem Raum, den ich für dieses Kind brauchen werde, mitwächst».
Buch
Julia Weber
Die Vermengung
352 Seiten
(Limmat 2022)