Spannungen sind vorprogrammiert bei diesem gemeinsamen Wochenende: Die drei Freundinnen Adele, Wendy und Jude kennen sich zwar schon seit Jahrzehnten, ihre unterschiedliche Sicht aufs Leben ist mit dem Alter aber nur noch ausgeprägter geworden. Nun verbringen sie die heissen australischen Weihnachtstage im alten Strandhaus ihrer verstorbenen Freundin Sylvie, um zu entrümpeln und wieder mal zusammenzusitzen. Bald wird ihnen schmerzlich bewusst, dass Sylvie, die immer das verbindende Element zwischen ihnen war, eine «furchtbare, unnatürliche Lücke» hinterlassen hat.
Mit all ihren Marotten und Schwächen
Die kultivierte und kühle ehemalige Gastronomin Jude ist die Akkurate in der Runde, welche die Schwächen der anderen gnadenlos ausleuchtet und doch selbst seit Jahrzehnten eine Affäre mit einem verheirateten Mann pflegt. Die Schauspielerin Adele wiederum ist hauptsächlich auf ihr Aussehen und einen perfekten Auftritt bedacht und tut sich schwer damit, dass sie sich nicht mehr im Glanz und Ruhm der früheren Tage sonnen kann. Die Dritte im Bunde ist die Intellektuelle Wendy, die mit ihren feministischen Büchern berühmt wurde und in ihren ausgewaschenen Hippie-Klamotten keinen Wert auf Äusserlichkeiten legt. Sie reist mit ihrem uralten Hund Finn an, den sie wie ein Kleinkind liebevoll umsorgt, während sie sich von ihren beiden inzwischen erwachsenen Kindern komplett entfremdet hat.
Im steten Perspektivenwechsel wird klar, dass sich die drei zwar oft hochgradig übereinander nerven und dennoch an einem Strick ziehen, wenns drauf ankommt. Urkomisch etwa die Szene, in der Jude einer Schauspiel-Konkurrentin von Adele mit ihrer «erprobten Mischung aus Hochnäsigkeit und Desinteresse» den Wind aus den Segeln nimmt und so klar Stellung für Adele bezieht.
Die in Sydney lebende, 55-jährige Autorin und Journalistin Charlotte Wood leuchtet die drei unterschiedlichen Charaktere mit all ihren Marotten und Schwächen schonungslos, aber immer mit liebevollem Blick aus. Ihr sechster Roman «Ein Wochenende» wird so zur tragikomischen Abrechnung mit all den Unzulänglichkeiten des Alters. Der demente und zerfledderte Riesenhund Finn, der immer kurz vor dem Abserbeln zu sein scheint, wird dabei zum Spiegel für die Vergänglichkeit. Charlotte Wood wirft Fragen zu Leben und Tod, zu unerfüllten Wünschen und Lebenslügen mit umwerfendem Humor und gleichzeitig mit tiefer Melancholie auf. So heisst es etwa lapidar zu einer Erinnerung an die Jugend, «als sie es liebten, über den Tod zu reden»: «Damals hatte Jude oft von ihrer Vorstellung vom Tod gesprochen; einem weissen, gekrümmten Raum der Ruhe, erfüllt von einer Art heiliger Stille. Bei ihr klang es wie das verdammte Guggenheim.»
Die Autorin, die 2016 mit dem düsteren Roman «Der natürliche Lauf der Dinge» ihren internationalen Durchbruch schaffte, versteht es, die Leserinnen bei der Stange zu halten. Denn im Verlauf des Wochenendes kommt manches lange gehütete Geheimnis ans Licht – bis es zum Showdown am Weihnachtsabend kommt, nach dem kein Stein auf dem anderen bleibt.
Buch
Charlotte Wood
Ein Wochenende
Aus dem australischen Englisch von Brigitte Walitzek
288 Seiten
(Kein & Aber 2020)