Roman: Schatten und Licht
Raffaella Romagnolo verbindet im Roman «Das Flirren der Dinge» das Schicksal eines Genueser Waisenjungen mit der Geschichte Norditaliens und der Kunst der Fotografie im 19. Jahrhundert.
Inhalt
Kulturtipp 18/2022
Babina Cathomen
Sie sind ein ungleiches Paar: Der bärbeissige, aber gutherzige Fotograf Alessandro Pavia und sein Lehrling Antonio Casagrande, der schmächtige Waisenjunge mit dem blinden Auge. Antonio verehrt seinen Meister mit dem Rauschebart, der ihn 1867 als 11-Jährigen im Genueser Waisenhaus Pammatone überraschend zum Assistenten auserwählt, ihn ausgebildet und gefördert hat. Mit ihm zieht er durch Norditalien, beobachtet ihn beim Fotografieren von Würdenträgern un...
Sie sind ein ungleiches Paar: Der bärbeissige, aber gutherzige Fotograf Alessandro Pavia und sein Lehrling Antonio Casagrande, der schmächtige Waisenjunge mit dem blinden Auge. Antonio verehrt seinen Meister mit dem Rauschebart, der ihn 1867 als 11-Jährigen im Genueser Waisenhaus Pammatone überraschend zum Assistenten auserwählt, ihn ausgebildet und gefördert hat. Mit ihm zieht er durch Norditalien, beobachtet ihn beim Fotografieren von Würdenträgern und einfachen Menschen und lernt, wie viel Zeit und Geduld hinter einer guten Porträtfotografie stecken, wie man Schatten und Licht richtig einsetzt. Als der glühende Republikaner Alessandro fliehen muss, beherrscht Antonio das Handwerk bereits so gut, dass er sich alleine durchschlagen kann. Sein Geld verdient er anfangs mit erotischen Fotografien, mausert sich aber zum gefragten Pressefotografen und Chronisten. Und nach und nach kristallisiert sich auch Antonios besondere Gabe heraus – Visionen, die ihn immer dann heimsuchen, wenn er mit seinem blinden Auge durch die Kameralinse blickt …
Charaktervoll gezeichnete Figuren
Die im Piemont lebende italienische Autorin Raffaella Romagnolo siedelt ihre berührende Geschichte mit den teilweise historisch verbürgten Figuren in Italien Mitte des 19. Jahrhunderts an und schlägt den Bogen bis in die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Die wechselvolle Geschichte Norditaliens nimmt in ihrem Roman ebenso wie der Beginn der Fotografie viel Raum ein. In ihren detaillierten, sinnlichen Beschreibungen wird die vergangene Zeit spürbar, in der Giuseppe Garibaldi und seine Mitstreiter für ein einiges und freies Italien kämpften. Dennoch verliert sie ihre charaktervoll gezeichneten Figuren nicht aus dem Blick. Zu ihnen gehören neben Antonio und Alessandro die Prostituierte Madame Carmen und die Hebamme Caterina – zwei starke Frauen, die sich im Tumult der damaligen Zeit durchzuschlagen wissen.
Raffaella Romagnolo
Das Flirren der Dinge
Aus dem Ital. von Maja Pflug
368 Seiten (Diogenes 2022)