Carlos demente Mutter ist aus dem Pflegeheim geflohen und lebt nun in einem Grandhotel in den Bergen, in dem sie während des Zweiten Weltkriegs gearbeitet hat. Weil das Hotelpersonal freundlich ist und die Preise denen des Heims gleichen, lässt er sie dort verweilen. «Es ging schon seit Jahren so, dass ihr Geist eigenwillig allerlei Gebilde hervorbrachte, die zwar reizvoll, jedoch sehr frei und ohne jeden Bezug zur unmittelbaren Wirklichkeit waren», erinnert sich der 45-jährige Landschaftsgärtner. Jetzt, wo sie langsam verschwindet, fühlt er sich als Waise.
Mehr als nur eine Mutter-Sohn-Geschichte
Während der Mutter die Welt abhandenkommt, sinniert der Sohn über seine zerbrochene Ehe und seine Exfrau, an der er immer noch hängt und deren Duft ihn an «trockenes Laub im Regen erinnerte».
Der Lausanner Autor Roland Buti beschreibt in seinem neuen Roman «Das Leben ist ein wilder Garten» viel mehr als eine Mutter-Sohn-Geschichte. Es ist kein Buch über eine Krankheit, sondern eine tiefgründige und zeitlose Auseinandersetzung mit Themen, die viele irgendwann betreffen: das Scheitern einer Partnerschaft, das Erkranken der eigenen Mutter, das Erwachsenwerden der Tochter.
Sein Kollege, ein politischer Flüchtling aus dem Kosovo, versorgt Carlos Mutter mit Hanfbonbons, baut gar eine Freundschaft mit ihr auf. Doch die betagte Dame versinkt immer mehr in ihren Erinnerungen. Als Carlo sie eines Tages tot in ihrem Zimmer findet, sieht sie aus wie eine Puppe, «die ein kleines Mädchen, nachdem es etwas zu grob mit ihr gespielt hatte, einfach liegen gelassen hatte».
Dass Demenz und Trennungen brachial sein können, bleibt unausgesprochen, doch würden diese Betrachtungen der Realität ohnehin Butis sanften Erzählstil stören. Auch wenn es um drei Abschiede geht – Mutter, Ehefrau, Tochter –, ist es doch ein höchst lebendiges Buch. Buti erzählt, was ein Ende und ein Neuanfang mit sich bringen, und lässt seinen Protagonisten nicht verzweifeln, sondern melancholisch nachspüren. «Das Leben ist ein wilder Garten» ist eine Reflexion über das Vergangene, ein schmales Buch, das gewaltige Themen liebevoll behandelt, ohne ein Wort zu viel zu verlieren.
Buch
Roland Buti
Das Leben ist ein wilder Garten
Aus dem Französischen von Marlies Russ, 176 Seiten
(Zsolnay 2020)