Roman: Politische Seifenoper
Dominik Barta lässt in seinem zweiten Roman «Tür an Tür» die Wirren unserer Zeit in einem Mietshaus in Wien aufeinanderprallen. Das überzeugt nur teilweise.
Inhalt
Kulturtipp 22/2022
Letzte Aktualisierung:
14.10.2022
Renzo Wellinger
«Von jenseits der Mauer schwappten die menschlichen Regungen etwas zu deutlich herüber. » Ein bellender Husten, Röcheln, die Toilettenspülung. Kurt Endlicher ist genervt. Der junge Lehrer, der gerade in die Mansarde seiner Tante im sechsten Stock eines Wiener Mietshauses gezogen ist, fühlt sich von den Geräuschen aus der Nachbarwohnung gestört. Gleichzeitig sorgt sich der 31-Jährige, dass sein Alltag auf der anderen Seite der Wände genauso d...
«Von jenseits der Mauer schwappten die menschlichen Regungen etwas zu deutlich herüber. » Ein bellender Husten, Röcheln, die Toilettenspülung. Kurt Endlicher ist genervt. Der junge Lehrer, der gerade in die Mansarde seiner Tante im sechsten Stock eines Wiener Mietshauses gezogen ist, fühlt sich von den Geräuschen aus der Nachbarwohnung gestört. Gleichzeitig sorgt sich der 31-Jährige, dass sein Alltag auf der anderen Seite der Wände genauso deutlich zu vernehmen sein könnte. Der unsichere, etwas verklemmte homosexuelle Mann ist der Protagonist und Ich-Erzähler von Dominik Bartas neuem Roman «Tür an Tür». Wie in seinem kompakten Debüt «Vom Land» (2020) beschreibt der österreichische Autor die Ansichten verschiedener Menschen, geprägt durch ihre jeweiligen Lebensumstände. Auch in seinem neuen Werk treffen die unterschiedlichsten Charaktere aufeinander.
Ein verletzter Schüler und ein hadernder Erzähler
Nach und nach werden die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren offengelegt. Da ist Mittsechziger Paul Drechsler, der gleich mehrere Geheimnisse zu hüten scheint. Kurts bester Freund, der junge Arzt Frederik Neundlinger, dem die Trennung von seiner langjährigen Freundin zusetzt. Oder Regina Schneider- Papaioannou, eine Verhaltensforscherin mit griechischen Wurzeln, die das Sexualverhalten von Wühlmäusen untersucht und gerne ausführlich darüber berichtet. Und schliesslich steht auch noch Kurts bester Schüler Ferhat Fersan, ein irakischer Geflüchteter, plötzlich blutüberströmt vor der Haustür. Während Kurt Endlicher mit seiner Identität als schwuler Mann hadert, versucht er, seinen Platz in einer immer komplexeren Welt zu finden. Die fiktiven persönlichen Geschichten schildert Barta in österreichisch gefärbter Sprache vor dem Hintergrund realpolitischer Ereignisse. Die Erzählung spielt ein Jahr vor der europäischen Migrationskrise von 2015. Während im Irak der Krieg wütet, kümmern sich die Europäer «um die Fussballweltmeisterschaft, um ihren Instagram-Account und um Gleich-berechtigung für Golden Retriever », wie Kurt Endlicher zynisch feststellt.
Die Fragen unserer Zeit sind plakativ dargestellt
Auf 200 Seiten werden viele brisante Gesellschaftsthemen aufgegriffen, von Terrorismus über Liebe, Sexualität und Einsamkeit bis hin zu Rassismus und Integration. Doch die drängenden Fragen unserer Zeit werden nur gestreift und plakativ dargestellt. Die Handlung wirkt konstruiert und erinnert mit ihren überraschenden Wendungen mitunter an das Drehbuch einer Seifenoper. Der Autor, 1982 in Oberösterreich geboren und heute in der Hauptstadt Wien lebend, macht zwar die Unübersichtlichkeit der heutigen Zeit deutlich und zeigt auf, wie sich politische Entscheide auf das Privatleben auswirken. Wie im echten Leben haben hier alle zu allem eine Meinung, aber nur die wenigsten wirklich Ahnung. Dominik Barta versucht, für diese Fassungslosigkeit Worte zu finden. Doch leider kommt auch «Tür an Tür» nicht über jene «Phrasenhaftigkeit» hinaus, über die sich eine der Romanfiguren empört.
Dominik Barta
Tür an Tür
208 Seiten (Paul Zsolnay 2022)