Roman: Nahe an der Absturzkante
Mit Tempo und viel schwarzem Humor: Tom Zürcher begleitet im neuen Roman «Liebe Rock» einen jungen Mann auf der Achterbahnfahrt des Lebens.
Inhalt
Kulturtipp 19/2021
Babina Cathomen
Dieser 18-Jährige ist der Albtraum jeder WG: Der Möchtegernschriftsteller Timm reisst sich alles unter den Nagel, was seinem Mitbewohner Marc gehört – das gute Hemd, das teure Bike, gar Marcs Doktorarbeit, die Timm als Cut-up-Roman veröffentlicht. Skrupel hat er keine, schliesslich ist der ältere Marc sein Konkurrent beim Buhlen um die coole Barfrau Rock, die ebenfalls in der WG lebt und mit Marc verlobt ist. Trotz aller Eskapaden und Timms nervigen Angewohnheit...
Dieser 18-Jährige ist der Albtraum jeder WG: Der Möchtegernschriftsteller Timm reisst sich alles unter den Nagel, was seinem Mitbewohner Marc gehört – das gute Hemd, das teure Bike, gar Marcs Doktorarbeit, die Timm als Cut-up-Roman veröffentlicht. Skrupel hat er keine, schliesslich ist der ältere Marc sein Konkurrent beim Buhlen um die coole Barfrau Rock, die ebenfalls in der WG lebt und mit Marc verlobt ist. Trotz aller Eskapaden und Timms nervigen Angewohnheiten entwickelt man beim Lesen eine gewisse Sympathie für den jungen, verlorenen Antihelden: Sein Leben ist von einer Kindheitstragödie überschattet, nun versucht er, Fuss zu fassen – schwankend zwischen Verzweiflung und Übermut. Der 55-jährige Tom Zürcher erzählt diese Coming-of-Age-Geschichte mit viel schwarzem Humor, mit Tempo und einer Prise Irrwitz.
Unkonventionell und unterhaltsam
Zuweilen kommt «Liebe Rock» ebenso grotesk daher wie Zürchers Roman «Mobbing Dick», mit dem er 2019 für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Auch dort stand ein junger Antiheld im Mittelpunkt, der sich mit unlauteren Methoden gegen die Ungerechtigkeiten der Welt wehrt. «Liebe Rock» ist aus der Ich-Perspektive erzählt, Timm wendet sich zuweilen in der Du-Form direkt an seine Angebetete Rock. Gewöhnungsbedürftig ist der fehlende Konjunktiv in der indirekten Rede. «Aber der klang nun mal nicht gut in meinen Ohren», sagt der Jungschriftsteller im Roman gleich selbst.
«Liebe Rock, wenn du das liest, bin ich tot.» So beginnt der Roman, der von Kapitel 100 rückwärts zählt – und lässt ahnen, dass sich Timms Leben stets nahe an der Absturzkante bewegt. Seine Erzählung bewegt sich zwischen tiefer Melancholie und urkomischen Szenen. Zum Schmunzeln regt seine bitterböse Beschreibung des Büchermarkts und der Kritiker an, die sich vor Begeisterung über Timms willkürlich aus Dissertationsauszügen zusammengeschnipselten Roman überschlagen. Ob der unverhoffte Erfolg Timms verkorkstem Leben eine Wendung gibt? Das lässt sich in Tom Zürchers so unkonventionellem wie unterhaltsamem Roman nachlesen, der tief eintaucht in das Auf und Ab eines Teenager-Lebens.
Buch
Tom Zürcher
Liebe Rock
296 Seiten
(Picus 2021)