Roman: Nach der Irrfahrt
In ihrem neuen Roman «Auf dem Seil» leuchtet Terézia Mora die inneren Zwiste eines Aussteigers aus, der in die Gesellschaft zurückfindet.
Inhalt
Kulturtipp 24/2019
Babina Cathomen
Sie interessiert sich für die Antihelden, die Einsamen, Rastlosen: Terézia Mora nimmt sich in ihren Erzählbänden und Romanen oft den Menschen an, die aus der Gesellschaft gefallen sind. Einer von ihnen ist der übergewichtige, stets schwitzende, ganz und gar durchschnittliche IT-Spezialist Darius Kopp, den die Autorin seit zehn Jahren in einer Romantrilogie begleitet. Im ersten Teil «Der einzige Mann auf dem Kontinent» fällt seine Karriere ...
Sie interessiert sich für die Antihelden, die Einsamen, Rastlosen: Terézia Mora nimmt sich in ihren Erzählbänden und Romanen oft den Menschen an, die aus der Gesellschaft gefallen sind. Einer von ihnen ist der übergewichtige, stets schwitzende, ganz und gar durchschnittliche IT-Spezialist Darius Kopp, den die Autorin seit zehn Jahren in einer Romantrilogie begleitet. Im ersten Teil «Der einzige Mann auf dem Kontinent» fällt seine Karriere in sich zusammen, und seine Frau Flora verlässt ihn. Im zweiten Teil «Das Ungeheuer», für den Mora 2013 den Deutschen Buchpreis erhielt, steht Kopp vor den Trümmern seines Lebens: Flora hat sich umgebracht, und er reist auf ihren Spuren quer durch Osteuropa, wo er feststellen muss, wie wenig er von seiner Frau wusste.
Vielschichtiges Bild eines gewöhnlichen Mannes
Mit dem neuen Werk «Auf dem Seil», das sich auch ohne Vorkenntnisse der anderen Teile lesen lässt, schliesst die Autorin ihre Trilogie ab – und führt Darius Kopp nach seinen Irrfahrten gereifter zurück ins Leben. Zunächst befindet er sich noch auf Sizilien, wo er sich ein einfaches Dasein als Pizzabäcker eingerichtet hat. Das plötzliche Auftauchen seiner 17-jährigen Nichte Lorelei aus Berlin wirft ihn aus der gewohnten Bahn – zumal sich herausstellt, dass sie schwanger ist. Zusammen mit dem illegalen Migranten Metin, der ebenfalls als Pizzabäcker arbeitet, bilden die drei eine Schicksalsgemeinschaft und kehren nach Berlin zurück. Hier stellt sich der verschuldete Darius den Herausforderungen des Alltags und entwickelt, auch wenn er sich zunächst dagegen sträubt, ein Verantwortungsgefühl für seine Nichte.
Terézia Moras Antiheld verliert die Balance auf dem titelgebenden Seil diesmal nicht. An Tempo nimmt die Handlung allerdings nicht auf. «Auf dem Seil» hebt sich vor allem stilistisch hervor: Die in Berlin lebende ungarische Autorin leuchtet aus unterschiedlicher Perspektive in die Innenwelt ihrer Figur. Auktorialer und Ich-Erzähler wechseln sich unvermittelt ab. Oder es wird ein «Du» angesprochen, das sich an die verstorbene Flora richtet, aber auch als innerer Dialog oder als Anrede an die Leser verstanden werden kann. Mit Sätzen in Klammern erschliesst sich der innere Zwist, in dem sich Darius befindet – und die Diskrepanz zwischen dem, was er sagt, und dem, was er tatsächlich denkt. Durch solche Erzählmittel ermöglicht Mora ein vielschichtiges Bild eines gewöhnlichen Mannes, der sich von der Last des Daseins trotz allem nicht erdrücken lässt
Buch
Terézia Mora
Auf dem Seil
368 Seiten
(Luchterhand 2019)