Roman: Mit Wagemut und Eigensinn
Mit «Susanna» gelingt dem Autor Alex Capus erneut ein leichtfüssiger und lebendiger historischer Roman mit starken Frauenfiguren.
Inhalt
Kulturtipp 17/2022
Letzte Aktualisierung:
08.08.2022
Babina Cathomen
Schon in der ersten Szene zeigt sich, wie unzimperlich sich Susanna Faesch selbst zu helfen weiss: Als Fünfjährige sticht sie einem Pferdeknecht, «doppelt so gross, dreimal so breit und fünfmal so schwer wie sie», in vermeintlicher Notwehr mit dem Zeigefinger resolut das Auge aus. Diese Entschlossenheit legt sie auch auf ihrem weiteren Lebensweg an den Tag, wie Alex Capus in seinem neuen Roman «Susanna » anschaulich beschreibt. Der Oltner Autor ist ein g...
Schon in der ersten Szene zeigt sich, wie unzimperlich sich Susanna Faesch selbst zu helfen weiss: Als Fünfjährige sticht sie einem Pferdeknecht, «doppelt so gross, dreimal so breit und fünfmal so schwer wie sie», in vermeintlicher Notwehr mit dem Zeigefinger resolut das Auge aus. Diese Entschlossenheit legt sie auch auf ihrem weiteren Lebensweg an den Tag, wie Alex Capus in seinem neuen Roman «Susanna » anschaulich beschreibt. Der Oltner Autor ist ein geborener Geschichtenerzähler, was er mit zahlreichen, meist historischen Romanen bewiesen hat. Und auch diesmal erweckt er die historisch verbürgte Basler Künstlerin Susanna Carolina Faesch (1844–1921) mit Leichtigkeit zum Leben und zeichnet das Bild einer unabhängigen Frau, die sich wenig um die gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit scherte.
Als die Brooklyn Bridge für Euphorie sorgte
Das turbulente Leben der Porträtmalerin, die sich später Caroline Weldon nannte und zur Vertrauten des Sioux-Häuptlings Sitting Bull wurde, bot sogar Stoff für Hollywood. Ihre Geschichte wurde 2018 im Drama «Woman Walks Ahead» verfilmt. Capus legt sein Augenmerk jedoch nicht auf die dramatischen Höhepunkte ihres Lebens, sondern nähert sich seiner Figur behutsam an mit zahlreichen Nebengeschichten und atmosphärischen Beschreibungen des Alltags im 19. Jahrhundert zwischen Basel und New York. So beschreibt er etwa die Euphorie bei der Eröffnung der Brooklyn Bridge oder wie die Erfindung von Fotografie und Glühbirne das Leben der Menschen veränderte. Im Fokus steht anfangs auch Susannas Mutter Maria, die aus der behaglichen Langeweile der gehobenen Schicht in Kleinbasel ausbricht, ihren Mann und ihre Söhne verlässt. Sie hat sich in den ehemaligen Militärkollegen ihres Gatten, Karl Valentiny, verliebt und reist ihm mit ihrer achtjährigen Tochter Susanna nach New York nach. Susanna wird Jahre später ebenso unabhängig entscheiden, dass sie ihren aus einer Affäre entstandenen Sohn Christie ohne Mann und mit Unterstützung ihrer Mutter grossziehen wird. Capus erzählt die Lebensgeschichten seiner Figuren in einer betont unaufgeregten Art. Trennungen gehen still und ohne Drama über die Bühne, und nach Karl Valentinys Tod heisst es lediglich: «Er war zur Welt gekommen, und er hatte gelebt. Übers Ganze gesehen war’s doch recht angenehm gewesen. Jetzt war es für ihn vorbei. Für die anderen würde es weitergehen. Alles in Ordnung.»
Capus lässt den Roman abrupt enden
Susannas und Christies abenteuerliche Reise 1890 aus New York mit der Eisenbahn, dem Dampfschiff und dem Planwagen hinaus ins Dakota-Territorium und ihre Begegnung mit Sitting Bull packt Alex Capus in die letzten 30 Seiten. So beschert er seinen Leserinnen ein abruptes Romanende. Susanna warnt den Häuptling vor den US-Soldaten, die schussbereit vor dem Reservat stehen, um dem indigenen Volk sein verbliebenes Land zu rauben. Wie die Geschichte für seine Figuren ausgeht, lässt Capus offen – historische Dokumente oder Thomas Brunnschweilers historisch- biografischer Roman «Die Zwischengängerin» über Susanna Faesch geben detailliertere Antworten für alle, die mehr an Fakten interessiert sind als an Fiktion.
Alex Capus
Susanna
288 Seiten (Hanser 2022)