Der Applaus ist ihnen garantiert: Wenn der Zauberer Ronnie und seine Assistentin Evie vor den Touristen im Seebad Brighton auf der Showbühne stehen, lassen sie den Alltag in der Nachkriegszeit vergessen. Zusammen mit Jack, der als Conférencier mit Witz und Charme durch die Show führt, sind sie ein eingespieltes Team. Doch zwischen den dreien brodelt es: Denn Evie ist zwar mit Ronnie verlobt, aber hat auch einen Blick auf den schönen Jack geworfen – und er auf sie. So landen die beiden zusammen im Bett, als Ronnie sich um die Beerdigung seiner Mutter kümmern muss und Brighton kurzzeitig verlässt.
Ein letztes grosses Täuschungsmanöver
Die Dreiecksgeschichte währt nicht lange. Denn Ronnie lässt am Schluss einer Show nochmals seine ganz grosse Zauberkunst spielen und verschwindet vor den Augen des Publikums sowie vor Evie und Jack auf Nimmerwiedersehen. Wie sich Ronnie buchstäblich wegzaubern konnte, bleibt auch der eingeschalteten Polizei ein Rätsel.
Graham Swift wechselt in seinem Roman gekonnt die Zeitebenen zwischen den 50er-Jahren und dem Jahr 2009, als die inzwischen 75-jährige Evie auf ihr Leben zurückblickt. Er blendet aber auch in Ronnies Kindheit zurück: 1939 wird der damals Achtjährige von seiner Mutter aus London, wo bald Bomben niedergehen würden, zu einer Gastfamilie aufs Land in Oxfordshire geschickt. Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern hat Ronnie unglaubliches Glück und landet bei einem Ehepaar, das ihn mit offenen Armen aufnimmt und ihm in Kriegszeiten ein sicheres Zuhause bietet. Und hier wird auch der Grundstein für seine Zukunft gelegt: Denn Ronnies Gastvater ist Zauberkünstler und führt den Jungen in die Kunst der Magie und der Illusionen ein.
Die Illusionen sind denn auch das grosse Thema in Graham Swifts leichtfüssigem Roman: einerseits die Illusionen auf der Bühne, wo das Publikum sich gerne von Magie einlullen lässt. Und wo die Show um jeden Preis weitergehen muss, auch wenn den Entertainern vielleicht gerade nicht danach ist. Andererseits die Illusionen, die sich die Protagonisten im Leben, in der Liebe, gar im Tod machen.
Die Welt enthüllt ihre Falschheit
So überkommt Ronnie angesichts seiner toten Mutter ein unwirkliches Gefühl, ähnlich wie nach seiner Rückkehr, als er die Affäre seiner Verlobten mit Jack durchschaut: «Er war zu seiner Mutter gefahren, die da war und nicht da war. Die beiden trughaften Situationen, mit denen er so kurz hintereinander konfrontiert worden war, gaben ihm das Gefühl, die Welt hätte hier ihre eigentliche Falschheit enthüllt, fast so, als waren sie ein und dieselbe.» Und er fragt sich: «Sollten sie einfach weitermachen und so tun, als wäre alles so wie immer? Erbarmungsloses oder barmherziges Tun als ob, welches von beiden?» Und so entschliesst er sich, von der Bühne des Lebens zu verschwinden.
Der britische Man-Booker-Preisträger Graham Swift, der etwa mit seinem Roman «Ein Festtag» einen Bestseller landete, zeigt sich in seinem neuen Werk selbst als Meister der Illusionen – denn ebendiese erzeugt er auch für seine Leser.
Buch
Graham Swift
Da sind wir
Aus dem Englischen von Susanne Höbel
160 Seiten
(dtv 2020)