Wenn plötzlich ein fluchender Jack Russell Terrier vor der Tür steht und dieser zu allem Übel auch noch ausschliesslich Englisch spricht, liegt eine Vermutung nahe: Die beiden «Sunshine-Trips» sind dem 64-jährigen Felix schräg eingefahren – schliesslich ist das LSD, das er in einem festgeklebten Tütchen in seinem Lieblingsalbum von Deep Purple gefunden hat, von 1978 und inzwischen 44 Jahre alt.
Von einer absurden Szene zur nächsten
Diese Eingangsszene im Roman «Der Hund, der nur Englisch sprach» bietet eine Steilvorlage für den 66-jährigen Autor Linus Reichlin, der auch in anderen irrwitzigen Romanen das Spiel mit der Wahrnehmung betreibt. Denn was hier Wahn und was Wirklichkeit ist, das ist sowohl dem Protagonisten als auch den Leserinnen und Lesern nicht klar.
Der putzige, aber selbstbewusste Vierbeiner namens Hobo jedenfalls plaudert munter in einem Englisch weiter, das Felix’ Sprachkenntnisse übertrifft. Und schon bald befindet sich der ehemalige Landschaftsarchitekt, der sein Geld mit halbseidenen Geschäften in der «Baumbeseitigungsbranche» verdient, zusammen mit Hobo in einem verrückten Abenteuer wieder, das von Berlin ins Tessin bis nach Florida führt. Seine verflossene Liebe, die inzwischen mit dem deutschen Bundespräsidenten verheiratet ist, und seine Zwillingsschwester spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle.
Linus Reichlin hat spürbar Spass am Fabulieren und lässt sich in seiner überbordenden Geschichte von einer absurden Szene zur nächsten treiben. Dazwischen klingen auch aktuelle Themen wie künstliche Intelligenz oder Verschwörungstheorien an. Denn Felix entwickelt im Lauf des irrwitzigen Roadtrips eine wilde Theorie: Vielleicht wurde seinem vierbeinigen Freund ein Chip implantiert – und durch diese künstliche Intelligenz kann dieser nun sprechen und eventuell sogar Spionage betreiben?
«Die Wirklichkeit ist eine fragile Konstruktion»
Bloss ein Hirngespinst, das aus dem LSD-Trip geboren wurde? Einen USB-Anschluss oder einen Deutsch-Knopf zwischen den Hinterbeinen des Tiers findet Felix jedenfalls nicht. Was er aber sicher weiss: «Die Wirklichkeit ist eine fragile Konstruktion, deren strenge Regeln schon durch den Konsum einer Flasche Bier ein klein wenig ausser Kraft gesetzt werden können.»
Der in Berlin lebende Schweizer Autor spielt lustvoll mit den Grenzen von Halluzination und Realität und hält im Nachwort unmissverständlich fest: «Und wenn jetzt noch Fragen offen sind: Sorry! Dann kann ich nur raten: Kaufen Sie nächstes Mal das Buch eines Autors, der auf alles eine Antwort hat.»
Das Buch wirft fürwahr mehr Fragen auf, macht bei der Lektüre aber grossen Spass und geht dem menschlichen Dasein mit schrägem Humor auf den Grund. Und auch dem Protagonisten selbst, der sich als «alter weisser Mann» öfter missverstanden fühlt, öffnen sich durch die neue Sicht aufs Leben andere Gedankenräume. Und diese Bewusstseinserweiterung hat wohl nicht nur mit dem eingeworfenen LSD zu tun.
Linus Reichlin
Der Hund, der nur Englisch sprach
320 Seiten
(Galiani 2023)