Wie ein Tornado bricht die Violinistin Sarah in das Leben der Ich-Erzählerin ein. Bisher hat die junge Pariser Lehrerin ein gemässigtes, unauffälliges Leben geführt, «ein Leben allein mit einer Tochter, deren Vater ohne Vorwarnung verschwunden ist». Ein Leben, das sie so nie führen wollte. Bis sie an einem Silvesterabend Sarah kennenlernt: Laut, ungestüm, exaltiert, zu stark geschminkt, kühn – «wie ein Wirbelsturm». Die junge Mutter ist fasziniert von dieser leidenschaftlichen Frau, die so ganz anders ist als sie selbst und sich nicht um Konventionen schert. «Sie ist lebendig», stellt sie wiederholt fest.
Eine alles verschlingende, masslose Liebe
Die beiden werden von Freundinnen zu Liebenden. Und die bis anhin zurückhaltende Ich-Erzählerin stürzt sich mit Haut und Haar in diese Amour fou. Ihre kleine Tochter, ihr bisheriger Lebensgefährte, ihre Arbeit, alles wird nebensächlich, Platz hat nur noch die Liebe zu Sarah: Eine alles verschlingende, masslose Liebe, die in der ersten Zeit in Euphorie gelebt wird, bald aber schon zerstörerische Züge annimmt. Nebst der Leidenschaft steht zunehmend das Leiden im Vordergrund: «Sie begreift nicht, dass sie sich verausgabt, dass sie mich verausgabt.» Die beiden streiten, versöhnen sich, fallen übereinan-der her, können nicht mit, nicht ohne einander. Ihre Liebe ist das «Wundervollste und das Schrecklichste» zugleich – bis es zum Bruch kommt.
Der erste Teil des Romans endet mit Sarahs Offenbarung, dass sie schwer erkrankt ist. So schliesst sich der Kreis zum Prolog, in dem das kommende Unheil bereits vorausgeschickt wird: «In jener feuchten Nacht gelingt es mir nicht, meinen Blick von ihrem nackten Körper zu lösen, von ihrem wächsernen Schädel. Von ihrer Totensilhouette.» Der zweite Teil des Romans wird bestimmt von der Flucht der Ich-Erzählerin von Paris über Mailand nach Triest. Ihr Kind, das im ganzen Roman namenlose Nebenfigur bleibt, lässt sie bei den Eltern zurück. Sie ist getrieben von der Verlustangst, dem Schmerz um die Geliebte. Im Gegensatz zum ersten Teil heisst es nun wiederholt: «Sie ist tot.» Ob dies der Realität entspricht, bleibt offen, denn die Psyche der Ich-Erzählerin scheint zunehmend zerrüttet.
Rauschhafte, rhythmisierte Sprache
Die 31-jährige Pariser Autorin Pauline Delabroy-Allard, die ein Literaturstudium und eine Buchhandelslehre absolviert hat, sorgte mit ihrem leidenschaftlichen Debüt in Frankreich für Aufsehen und erhielt mehrere Auszeichnungen. Ihre rauschhafte, rhythmisierte Sprache bildet den schwindelerregenden Sog der Liebe ab. Der Gedankenstrom ihrer Protagonistin kreist zunehmend wahnhaft um diese eine Person: Sarah. Die Beschwörung «daran erinnere ich mich» leitet immer wieder neue Erinnerungen an die Geliebte ein. Auch andere Sätze und ganze Passagen erklingen wiederholt, wie in der Musik, die durch die Konzertviolinistin Sarah ein wiederkehrendes Motiv bildet. Schuberts «Der Tod und das Mädchen» wird letztlich zum Leitmotiv. Dieses aufregende Debüt nimmt bis zur letzten Seite gefangen!
Buch
Pauline Delabroy-Allard
Es ist Sarah
182 Seiten
(Frankfurter Verlagsanstalt 2019)