Der Wirbel um ihre Person gefällt Sally Rooney eigentlich ganz und gar nicht. Kürzlich wurde die Autorin, die sich von allen Social-Media-Plattformen zurückgezogen hat, aber wieder einmal ins mediale Rampenlicht geschleudert: Aus politischen Gründen hatte sie die Übersetzung ihres neusten Romans ins Hebräische verhindert. Rund um den Literaturskandal geht etwas vergessen, dass Rooneys dritter Roman ebenso gelungen ist wie die beiden Vorgänger. «Schöne Welt, wo bist du» ist nah am Leben der 30-Jährigen. Sie thematisiert darin etwa die Schattenseiten des Schriftstellerinnen-Ruhms und die ewige Präsenz von Social Media im Leben der Millenials.
Präziser Blick auf Alltagsgespräche
Im Mittelpunkt stehen die beiden Freundinnen Eileen und Alice: Eileen arbeitet als Redaktionsassistentin bei einer Literaturzeitschrift und nähert sich nach einer Trennung wieder ihrem Jugendfreund Simon an. Und die erfolgreiche Schriftstellerin Alice hat sich nach einem psychischen Zusammenbruch in einen kleinen Ort an der irischen Küste zurückgezogen, wo sie durch eine Dating-App den Lageristen Felix kennenlernt. Das erste Treffen verläuft nicht vielversprechend. Alice zeigt sich zwar blitzgescheit und schlagfertig, aber auch unnahbar und mit reichlich angeknackstem Selbstbewusstsein, wenn sie sagt: «Wenn du keine Lust mehr hast zu laufen, kannst du mich jederzeit stehen lassen und umkehren, ich bin es gewohnt.»
Sally Rooney ist eine Meisterin der Zwischentöne, die sich aus den Gesprächen zwischen den Protagonisten erschliessen. Mit präzisem Blick bildet sie etwa die unheilvolle Dynamik ab, die Gespräche nehmen können, wenn ein unterschwellig gärender Konflikt besteht. Im Roman wechseln sich Alltagsschreibungen inklusive Handy-Chats ab mit Mails, die sich die Freundinnen schreiben. Die beiden verhandeln persönliche und politische Fragen: Wie lebt man eine Beziehung, in der beide sich entfalten können? Wie geht man als privilegierter Mensch mit der Ungerechtigkeit der Welt um? Während sich die Alltagsszenen locker weglesen lassen, sind die Mail-Kapitel in einem akademisch-essayistischen Ton gehalten: Hier teilen Alice und Eileen ihre weitschweifenden Gedanken zu Liebe, Sex und Freundschaft, aber auch zum Zustand der Gesellschaft, zum Glauben, zu Klassenunterschieden und Sozialismus.
Widersprüche inklusive
Sally Rooney, selbst bekennende Marxistin, scheut sich nicht, all die Widersprüche aufzudecken, in der sie selbst und ihre Protagonisten sich bewegen: Sie prangern soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung an – sind als wohlhabende, gut ausgebildete Menschen aber selbst Teil dieses kapitalistischen Systems. Sie kreiden das Patriachat an – fallen etwa beim Sex aber selbst in alte Rollenmuster. Sie sprechen über Befindlichkeiten – haben aber das Gefühl, damit nichts zu einer Veränderung der Weltmisere beizutragen. Sally Rooney nennt die Dinge beim Namen und schafft damit einen spannenden und klugen Roman, der Denkanstösse liefert.
Buch
Sally Rooney
Schöne Welt, wo bist du
Aus dem Englischen von Zoë Beck
352 Seiten
(Claasen 2021)