Von A wie Attentat bis Z wie Zyste: Die Angstpalette der 25-jährigen Schauspielerin Ada ist gross. In ihrem Zimmer hat sie sich ein «Angstalphabet» eingerichtet – eine Collage mit Bildern und Artikeln diverser Bedrohungen. Wenn sie nur lange genug hinschaut, so hofft sie, verpuffen ihre diffusen Ängste. Doch dem ist nicht so. Immer wieder kehren sie zurück, rauben ihr den Schlaf und sorgen für Panikattacken, bei denen sie jedes Gefühl für sich selbst verliert. In Gesellschaft versucht Ada, das Gesicht zu wahren: «Solange die anderen da waren, war sie noch die Frau, die Kopf voran vom Dreimetterbrett sprang, die sich am linken Unterarm selbst tätowiert hatte (. . .).»
Robuster Mitbewohner
Doch in ihrem Inneren brodelt es, das Leben droht ihr zu entgleiten. Die Einladungen fürs Vorsprechen an renommierten Theaterhäusern lässt Ada ungenutzt verstreichen, mit einer Rolle als Leiche hält sie sich in einem Kleintheater über Wasser. Weil sie mit der Miete im Rückstand ist, setzt ihr der Vermieter ungefragt seinen Enkel Juri in die Wohnung. Der neue Mitbewohner bringt Ada zunächst vollständig aus dem Konzept – unerträglich, dass jemand hautnah miterleben könnte, wie sie ihr Leben nicht im Griff hat. Mit allen erdenklichen Mitteln versucht sie, ihn aus ihrer Wohnung zu ekeln: Doch Juri zeigt sich resistent gegen ihre Kratzbürstigkeit.
Und langsam entwickeln sich zwischen Ada und Juri zarte Bande, auch wenn sich Ada anfangs vehement dagegen sträubt – aus Angst, vollständig die Kontrolle zu verlieren. Sie ist überzeugt, «dass die Liebe aus jedem, den sie erwischte, früher oder später einen rückwärtsgewandten, zusammengesunkenen Menschen machte» und dass die Liebe «wissenschaftlich betrachtet eine Form der Psychose ist».
Wackelkontakt
Mit ihrem Roman ist Simone Lappert, die bisher vor allem mit Lyrik auf sich aufmerksam gemacht hat, ein eindrückliches Debüt gelungen. Sie erzählt mit viel Feingefühl, präzisen Beobachtungen und Humor von einer jungen Frau und ihrer zwar unbegründeten, aber nicht minder quälenden Angst vor dem Leben. Für die aus den Fugen geratene Welt ihrer Protagonistin findet die Autorin ungewohnte Bilder: «Es ist ein Selbstauslöser, den ich nicht steuern kann (. . .), es ist, als hätte ich schon immer einen Wackelkontakt zur Welt.» «Wie eine Taucherglocke» schraubt sich die Angst jeweils eng um Adas Kopf.
4 Fragen an Simone Lappert
«Die Angst geht uns alle an»
kulturtipp: Sie beschreiben die Ängste Ihrer Protagonistin eindringlich und lebensnah. Wie kam es zu diesem Thema?
Simone Lappert: Die Angst lag als Thema von Anfang an unter der Textoberfläche und hat sich während des Schreibens nach und nach herauskristallisiert, auch als Reibungspunkt zwischen Ada und Juri. Angst ist etwas, das uns alle angeht und jeder kennt. Die einen mehr, die anderen weniger. Ich gehöre wohl eher zu der ersten Gruppe. Zudem habe ich viel recherchiert und Gespräche geführt.
Welche Entwicklung macht Ihre Figur Ada durch?
Sie macht einen Schritt hin zur Akzeptanz ihrer Angst. Anfangs will Ada sie um jeden Preis loswerden und setzt alles daran, diesen «Fremdkörper» aus ihrem Leben zu verbannen. Sie denkt, dass sie anderen Menschen erst wieder nahe kommen kann, wenn sie die Angst losgeworden ist. Langsam beginnt sie zu verstehen, dass die Angst zu ihr gehört und erst einmal ihren Platz braucht. Natürlich hilft ihr dabei die Annäherung an Juri ein wenig: Vieles ist einfacher zu ertragen, wenn man damit nicht alleine ist. Aber es kostet Ada eine Menge Mut, diese Nähe zuzulassen, auch weil sie weiss, dass damit noch nichts gelöst ist, dass eine Veränderung nur aus ihr selbst entstehen kann.
Sie haben sechs Jahre an diesem Buch gearbeitet. Feilen Sie sehr lange an Ihrer Sprache?
Ja, der Rhythmus und der Klang eines Textes sind mir sehr wichtig, darüber lässt sich viel erzählen. Ich schreibe selten viel am Stück, generell ist es ein langsamer, bewusster Prozess. Wenn etwas nicht funktioniert, probiere ich es anders aus, suche einen anderen Ausdruck, ein anderes Bild.
Was bedeutet Ihnen das Schreiben? Welche Themen interessieren Sie?
Das Schreiben ist für mich eine wichtige Ausdrucksform – vielleicht sogar die einzige Möglichkeit, etwas zu begreifen. Thematisch interessieren mich Reibungsmomente: Unsicherheiten, Wünsche, Ängste, Zweifel; das sind Momente, in denen die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen sind – das will ich in Sprache transformieren.
Simone Lappert
«Wurfschatten»
205 Seiten
(Metrolit 2014).