Wie kann man solche Sätze schreiben? Oft die halbe Buchseite füllend, gespickt mit Kommata und Strichpunkten, erzählt Fritz Meyer (1914–1964) im Roman «Ich unter anderem» aus seinem Innenleben. Wobei das Erzählen sich vom Beschreiben zum Protokollieren wandelt und schliesslich zur sprachlichen Wortmalerei. Ist die Lektüre zu Beginn fordernd, entwickelt sie sich allmählich zum Eintauchen in das rhythmische Wogen einer unerhörten Sprache.
Multiple Selbst- und Weltanalyse
Die Sprache ist denn auch eine der Protagonistinnen dieses Buchs, das nach seinem Erscheinen 1957 bald in Vergessenheit geriet. Wie auch sein Autor, der mit nur 50 Jahren an einer in Alkohol ertränkten Leber starb. «Ich weiss nicht, ob ich die ihr gemässe Darstellung überhaupt werde finden können», schreibt der Ich-Erzähler Emil über eine verzweifelte Nacht in Zürich, die ihm seine Katharina entriss. Seine unerwiderte Liebe ist der rote Faden des Buchs, der aber von Anfang an ausfranst in eine multiple Selbst- und Weltanalyse.
Emil ist frisch aus dem Spital entlassen, wo er drei Monate lang mit einem Beinbruch lag. Sein Blick zur Decke drehte sich bald und bohrte sich in sein Inneres. «So lernte ich die Leere einsehen», fasst Emil seine zunehmend nihilistischen Gedankengänge zusammen. Endlich entlassen und mit zwei Stöcken durch Zürich humpelnd, kommt ihm Katharina abhanden. Dem gequälten Jüngling – Emil ist erst 18 – bleibt nur die Flucht: zuerst nach Paris, dann an eine Meeresküste.
Auch Fritz Meyer floh als junger Mann nach Paris, lange vor anderen, die der helvetischen «Enge» entkommen wollten. Dort wurde er zum Existenzialisten, der nicht nur seine Identität, sondern das Sein an sich hinterfragte. In Zürich tat dies wenig später einer namens Max Frisch, der zum Exponenten der Schweizer Nachkriegsliteratur werden sollte. Meyer sass derweil in selbst gewählter Isolation und starb zu jung, um entdeckt zu werden.
Die Neuausgabe von «Ich unter anderem» ist als Sensation zu werten. Hier ist einer wiederzuentdecken, der eine neue Zeit beschrieb, bevor diese richtig fassbar wurde. Und dies in einer Sprache, die einer kubistisch verschachtelten Weltsicht dient, die weit mehr ist als ein literarisches Zeitdokument.
Buch
Fritz Meyer
Ich unter anderem
224 Seiten
(Atlantis 2022)