Irgendwo zwischen Cerealien, Trüffelbutter und Joghurtrosinen gerät Emira Tuckers Welt aus den Fugen. In einem noblen Lebensmittelladen in Philadelphia findet sich die 25-Jährige plötzlich in einer brenzligen Situation wieder. Die Babysitterin, die spätnachts mit einem Kleinkind unterwegs ist, wird der Entführung verdächtigt und kurzerhand von einem übereifrigen Sicherheitsmann befragt. Das «Problem»: Emira ist schwarz, das Kind weiss. Ein Kunde filmt die drohende Eskalation mit seinem Handy.
Ohne erhobenen Zeigefinger
Das Resultat ist «ein Video über Rassismus, in dem kein Blut floss und das man ansehen konnte, ohne sich den ganzen Tag zu verderben», schreibt Kiley Reid sarkastisch. Spätestens seit dem erschütternden Zeugenvideo, in dem zu sehen ist, wie der Afroamerikaner George Floyd im Frühjahr 2020 in Minneapolis von einem weissen Polizisten qualvoll getötet wurde, weiss die ganze Welt, wie fatal solche Übergriffe enden können. Die US-Schriftstellerin zeigt in ihrem ersten Roman rassistische Vorurteile auf, die nicht zwingend in Gewalt münden, für die Betroffenen aber ebenfalls nachhaltige Folgen haben.
Klug deckt die 34-Jährige, die zurzeit an ihrem zweiten Buch arbeitet, rassistische Mikroaggressionen auf und beschreibt alltägliche heikle Situationen, die nicht die Nachrichten beherrschen. Ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit messerscharfem Humor führt sie insbesondere den hinter gut gemeinten Absichten versteckten Ras-sismus weisser privilegierter Progressiver vor. Emiras Arbeitgeberin Alix Chamberlain, eine wohlhabende Bloggerin, ist schockiert und will den Vorfall im Supermarkt wiedergutmachen. Dabei erkennt sie jedoch ihre eigene Voreingenommenheit nicht und scheitert am Ende kläglich. Und auch Emiras aufblühende Beziehung mit einem weissen Mann sorgt für Missverständnisse, Konflikte und Verletzungen.
Bissige Geschichte, authentische Charaktere
Die Handlung des Romans ist zwar arg konstruiert, basiert sie doch auf einigen Zufällen, überraschenden Wendungen und Verstrickungen. Dennoch gelingt Kiley Reid eine bissige Geschichte mit authentischen Charakteren. Ähnlich wie die Netflix-Serie «Dear White People», deren Produzentin Lena Waithe sich die Filmrechte an «Such a Fun Age» gesichert hat, nutzt Reid die Stilmittel einer bitterbösen Satire, um die komplizierten Mechanismen von Rassismus offenzulegen.
Gleichzeitig veranschaulicht sie die stete Überforderung und die Unsicherheiten junger Erwachsener, die sich oft zwischen den grenzenlosen Möglichkeiten, gesellschaftlichen Erwartungen und der wirtschaftlichen Realität verlieren. Mit der chaotischen, liebenswerten Protagonistin dürften sich viele Leserinnen und Leser identifizieren können und damit für den eigenen Umgang mit subtilem Alltagsrassismus sensibilisiert werden.
Kiley Reid
Such a Fun Age
Aus dem US-Amerikanischen von Corinna Vierkant
352 Seiten
(Ullstein 2021)