Ein junger Mann hört sein letztes Stündlein schlagen. «Ich sinke tiefer, und in gleichmässigen Abständen ist ein Rucken zu spüren. Es drückt in den Ohren und schmerzt, als würden mir spitze Stöcke in den Kopf gestochen.»
Mit diesen Worten schildert der Protagonist Angus seinen Tauchgang im Ärmelkanal in den frühen 1690ern. Er steht in den Diensten des Forschers Edmond Halley (1656–1742), der den Jungen in einer Tauchglocke in die Tiefen des Wassers versenkte – in der Hoffnung, dass er überlebt.
Fiktives munter mit Historischem gemischt
Der Roman «Die Kunst, unter Wasser zu leben» erzählt Episoden aus der Biografie des Wissenschafters Halley, der vor allem als Astronom bekannt wurde. Der finnische Schriftsteller Olli Jalonen schildert sie aus der Sicht von Angus, einem fiktiven Jungen, den Jalonen-Leser kennen. Er stand schon im Mittelpunkt seines früheren Romans «Die Himmelskugel», als Halley 1677 die Atlantikinsel Sankt Helena besuchte und Angus mit nach London nahm, wo er ihm als Gehilfe und menschliches Versuchstier diente. Der Autor hat nun wiederum einen vergnüglichen Roman geschrieben, in dem er munter Fiktives mit historisch belegten Geschehnissen vermischt.
Dabei scheut er die grossen Gefühle nicht, etwa wenn der junge Angus sich in eine Spielgefährtin verliebt, sich dabei aber sehr ungeschickt anstellt. Der Gelehrte Halley war zeitlebens für seinen Ehrgeiz bekannt und liess sich durch niemanden in seinen Forschungen beirren. Nach ihm ist bis heute der Halleysche Komet benannt, dessen Umlaufbahn er berechnete und der voraussichtlich 2061 wieder in Erdnähe zu sichten sein wird. Halley lebte in einer Zeit, als die Menschen religiös und der Aberglaube weit verbreitet war. So musste ein Aufklärer wie er stets darauf achten, mit seinen physikalischen Einsichten nicht anzuecken.
Er beherrschte die Kunst der Anpassung indes perfekt, brachte es zum Leiter der Königlichen Münzstätte in Chester und hatte später den Posten eines Königlichen Astronomen in Greenwich inne. Halley versuchte immer, Geschäft und Wissenschaft zu verbinden. Auch seine Tauchexperimente mit Angus hatten einen kommerziellen Hintergrund. Er hoffte, damit die Wracks versunkener Schiffe zu plündern, was sich allerdings als zu aufwendig und wenig lukrativ erwies.
Im Kampf um Anerkennung
In Jalonens Roman begleitet der Erzähler Angus seinen Meister auf der Forschungsreise mit dem Schiff HMS Paramore durch den Nord- und den Südatlantik. Die Reise diente der Vermessung des Meeres mit der Magnetnadel. Der Figur Halley verleiht der Autor auch negative Züge. Immer wieder lässt er dessen Eitelkeit und Rücksichtslosigkeit im Kampf um gesellschaftliche Anerkennung aufblitzen.
Jalonen zeichnet zudem den geschichtlichen Hintergrund jener Zeit nach – mit dem Sturz des letzten Stuartkönigs Jakob II. und vor allem dem langjährigen Krieg zwischen England und Frankreich. So bietet die Lektüre dieses Buchs nebst dem Lesevergnügen eine kleine Geschichtslektion.
Buch
Olli Jalonen - Die Kunst, unter Wasser zu leben
Aus dem Finnischen von Stefan Moster
526 Seiten (mare 2023)