Roman: Im freien Fall
Per Petterson leuchtet in seinem autobiografisch geprägten Roman «Männer in meiner Lage» in die Seele eines wortkargen Eigenbrötlers.
Inhalt
Kulturtipp 03/2020
Babina Cathomen
«Ich war frisch geduscht, meine Haare waren frisch gewaschen, ich wollte das Verlorene aufholen, was auch immer das Verlorene war, ich war achtunddreissig, alles war futsch, ich hatte nichts mehr.» Abgrundtief verzweifelt steht der Ich-Erzähler Arvid Janson in Per Pettersons neuem Roman in einer Bar in Oslo und schaut sich zur kurzfristigen Ablenkung nach einem One-Night-Stand um. Im Rückblick erzählt er von dieser prekären Zeit Anfang der 90er, ...
«Ich war frisch geduscht, meine Haare waren frisch gewaschen, ich wollte das Verlorene aufholen, was auch immer das Verlorene war, ich war achtunddreissig, alles war futsch, ich hatte nichts mehr.» Abgrundtief verzweifelt steht der Ich-Erzähler Arvid Janson in Per Pettersons neuem Roman in einer Bar in Oslo und schaut sich zur kurzfristigen Ablenkung nach einem One-Night-Stand um. Im Rückblick erzählt er von dieser prekären Zeit Anfang der 90er, als er alles verloren hatte, was ihm lieb war: Seine Eltern und sein Bruder waren bei einem Schiffsbrand ums Leben gekommen. Und seine Frau hatte sich von ihm getrennt, lebte in einem anderen Stadtteil mit den drei Töchtern, von denen er sich entfremdet hatte. Buchstäblich im freien Fall verbringt der Schriftsteller Arvid Janson seine Tage mit ziellosen Autofahrten und seine Nächte mit unbekannten Frauen. «Rastlos» ist der Begriff, mit dem er sich wiederholt selbst umschreibt.
Absorbiert vom eigenen Weltschmerz
Arvid Janson, bereits bekannt aus anderen Romanen, gilt als Alter Ego des norwegischen Schriftstellers Per Petterson.
Er selbst hat 1990 bei einem Schiffsunglück seine Eltern und seinen jüngsten Bruder verloren und hat eine Scheidung hinter sich. Seine Romane sind oft autobiografisch geprägt, geben Einblick in verletzte Männerseelen. Im aktuellen Buch tauchen mehrere Figuren aus anderen Werken auf, unter denen «Pferde stehlen» (2003) besonders empfehlenswert ist.
Der 67-jährige Autor beschreibt den Schmerz seines Protagonisten mal mit kühler Distanz, mal mit eindringlicher Präzision, zuweilen auch mit ironischem Einschlag. Sein Ich-Erzähler ist ein schweigsamer Eigenbrötler, der in seiner Trauer niemanden an sich heranlässt. Absorbiert von seinem Weltschmerz übersieht er die Seelennöte seiner Teenager-Tochter Vigdis, bis es zum unmissverständlichen Hilfeschrei kommt. Vieles bleibt offen in diesem dichten, manchmal ermüdenden Roman, der mit wenig Handlung auskommt, zuweilen gar zum Stillstand neigt – so wie der Erzähler selbst feststeckt, sich lange nicht zu befreien vermag aus seiner tiefen Melancholie.
Buch
Per Petterson
Männer in meiner Lage
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
288 Seiten
(Hanser 2019)