Rot und Weiss waren seine Lieblingsfarben. Rot wie das Blut, das er eimerweise über die Tierkadaver in seinem Atelier goss, um sie authentischer malen zu können. Weiss wie die Milch, die er literweise trank, um sein Magengeschwür zu besänftigen. Chaim Soutine (1893–1943) war ein gewalttätiger Maler, der Bilder schuf von pulsierender Monstrosität und einen Grossteil davon nach Beendigung zerschnitt oder verbrannte. Ein getriebener Mensch, den es aus dem weissrussischen Schtetl ins mondäne Paris zog und in den Wahn des innerlich zerrissenen Genies.
Ralph Dutli zeichnet das Leben dieses Künstlers in seinem Roman «Soutines letzte Fahrt» nach, der sich auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis fand und nun auch für den Schweizer Buchpreis nominiert ist. Überraschend, weil der in Heidelberg lebende Schaffhauser bisher als Essayist und Lyriker bekannt war und nun seinen ersten Roman vorlegt. Erstaunlich auch, weil «Soutines letzte Fahrt» ein hochpoetisches Buch ist, das sich nicht einfach reinziehen lässt, aber doch am genussvollsten in einem Zug gelesen wird.
Ausgewiesener Experte
Dutli (59) hat in Paris Romanistik und Russistik studiert. Als Biograf, Übersetzer und Herausgeber befasste er sich ausgiebig mit dem jüdisch-russischen Dichter Ossip Mandelstam, mit französischer Poesie sowie Malerei – etwa den Werken Arnold Böcklins. Ein ausgewiesener Experte also für eine Biografie des jüdischen Wahlparisers Chaim Soutine. Bewusst – und mit Gewinn – hat er dafür die fiktionale Form gewählt.
Dutli erzählt den letzten Tag im Leben Soutines: Die Fahrt vom ländlichen Chinon nach Paris, wo sein Magendurchbruch operiert werden soll. Es ist der 6. August 1943, und weil Soutine von den Nazis gesucht wird, liegt er versteckt in einem Leichenwagen. Diese wahnwitzige Szenerie reichert Dutli mit Erinnerungsbildern an, die der (gerade noch) lebenden Leiche durch den Kopf jagen. Bilder aus der fernen Jugend, vor allem aber aus dem Paris der 1910er- bis 1940er-Jahre, die Soutine als Sonderling, später als gefeierter Künstler durchlebte: Mit Chagall und Picasso (die er für überschätzt hielt), mit Max Ernst (dem er die Frau ausspannte) und Modigliani, der ihm zum verehrten Gefährten wurde.
Wahnbilder
Immer mehr verwischen sich Erinnerungen und delirierende Wahnbilder; die Lesenden erleben den Übergang Soutines in eine weisse (!) Zwischenwelt, aus der er nicht mehr erwacht. Ralph Dutli pokert hoch, wenn er in derselben Art schreibt, wie Soutine gemalt hat: Pastos aufgetragen und dennoch zart schimmernd. Sein Roman liest sich wie ein Morphiumtrip, mit dem er Soutines Leben – und seiner letzten Fahrt – aber gerecht wird. Atemberaubend.
Lesungen
Do, 24.10., 19.30
Le Salon Neuchâtel
Fr, 25.10., 14.00
Volkshaus Basel
Fr, 25.10., 21.00
Literaturhaus Zürich
Sa, 26.10., 17.00
Kunstmuseum Winterthur
So, 27.10., 11.00
Theater Basel
Ralph Dutli
«Soutines letzte Fahrt»
270 Seiten
(Wallstein 2013).
Zwei Festivals – ein Preis
Ralph Dutli wird Ende Monat einen Lesemarathon absolvieren. Vor allem in Basel, Zürich und Winterthur liest er aus seinem Roman «Soutines letzte Fahrt», der für den Schweizer Buchpreis nominiert ist. Dieser wird am So, 27.10., zum sechsten Mal am Literaturfestival «BuchBasel» verliehen. Nebst Ralph Dutli sind Henriette Vásárhelyi, Roman Graf, Jens Steiner und Jonas Lüscher nominiert. «BuchBasel» präsentiert über 100 Anlässe an 27 Orten in und um Basel. Nebst einheimischen Autoren lesen auch internationale Gäste wie Daniel Kehlmann, Sibylle Lewitscharoff oder Ilija Trojanow. Letzterer wird auch in Zürich lesen, denn erstmals spannt «BuchBasel» mit dem gleichzeitig stattfindenden Festival «Zürich liest» zusammen. Dieses lädt in Zürich, Winterthur und Umgebung zu 140 Lesungen. (fn)
BuchBasel
Do, 24.10.–So, 27.10.
www.buchbasel.ch
Zürich liest
Do, 24.10.–So, 27.10.
www.zuerich-liest.ch
Schweizer Buchpreis
So, 27.10., 11.00 Theater Basel
www.schweizerbuchpreis.ch
Buchpreis live am Radio
So, 27.10., 12.40 SRF 2 Kultur