In der Deutschschweiz hiessen sie «Tschinggen», im Tessin nannte man sie «Badin» (Nichtsnutz) oder eben «Maiser» (Polenta-Esser). Italienische Einwanderer in der Schweiz waren, obwohl offiziell als «Gastarbeiter» beschönigt, nie wirklich willkommen. Auch nicht Bruno und Fermina, die Protagonisten in Fabiano Alborghettis Roman «Maiser», die 1953 als junges Paar vom umbrischen Amelia nach Mendrisio ziehen. Auf dem dortigen Bauerngut La Pobbia werden sie zwar relativ offen empfangen. Die Arbeit aber ist hart, der Lohn karg, und nur allzu bald merken die beiden, dass in der Schweiz zwar der Himmel zuweilen stahlblau glänzen mag, die Gesichter der Einheimischen aber oft abweisend sind.
Alborghetti erzählt, wie Bruno und Fermina heiraten, wie sie Eltern werden, ihre Kinder an höhere Schulen schicken. Ein halbes Jahrhundert lang begleitet er die Familie und ihr zwar stetig angenehmeres, aber doch gezeichnetes Leben in einem kulturellen, emotionalen, auch juristischen Dazwischen. Vater Bruno träumt unentwegt von einer Rückkehr in die umbrische Heimat, die Kinder aber fühlen sich bald als Schweizer.
Man kennt solche Schicksale von Schulkollegen oder Bekannten – und aus der Literatur. Zuletzt hat Vincenzo Todisco über Saisonniers geschrieben: Sein Roman «Das Eidechsenkind» stand 2018 auf der Shortlist des Schweizer Buchpreises. Alborghettis «Maiser» hat im selben Jahr einen Literaturpreis der Eidgenossenschaft gewonnen. Die Jury lobte damals die «völlig neue Art und Weise seines Erzählens». Tatsächlich ist überrascht, wer das Buch erstmals öffnet: Der Text ist in Versform geschrieben. Die Ankunft von Bruno und Fermina in der Schweiz liest sich so:
Alle aussteigen
hier Bahnhof Chiasso,
das ist die Grenze:
eine Schlange von
Paketen, Koffern, Personen
die geduldig anstehen
dahinter das Schild,
das nach Italien zeigt …
Die Verse folgen keinem strengen Rhythmus, sondern sollen den Wörtern ihren Platz und das nötige Gewicht verleihen. Dank bildkräftiger Sprache liest sich der Text aber flüssig. Zum Lyriker wird Alborghetti dann, wenn er einzelne Sätze oder Passagen über das ganze Buch verteilt wiederholt, womit er die alltägliche Routine darstellen will, aber auch wichtige Rituale. Etwa die Ferienreisen der Familie nach Umbrien. Mit der Versform will der Autor der «kleinen Geschichte» seiner Protagonisten Relevanz verleihen.
Über die bewegte Politik der Schweiz
Alborghetti weiss ansatzweise, wovon er schreibt. Er ist 1970 in Mailand geboren und lebt seit Jahren im Tessin. Ein Ausländer ist also auch er, wenn auch in ungleich privilegierterer Stellung als Autor, Fotograf und Kulturförderer. Als solcher hat er gut recherchiert und stellt die Geschichte von Bruno und Fermina in einen weiten Kontext, der nach dem Ersten Weltkrieg beginnt, den italienischen Faschismus und die Nachkriegszeit umfasst. Aber auch die bewegte Politik der Schweiz mit den im Buch zentral wichtigen «Überfremdungs-Initiativen» von James Schwarzenbach. Ein informativer Anhang gibt Erklärungen zu solchen Anspielungen. Nicht unerwähnt bleiben soll die wunderschöne Gestaltung des Buches.
Maiser
Fabiano Alborghetti
Aus dem Italienischen von Maja Pflug und Klaudia Ruschowski
224 Seiten
(Limmat 2020)