An einem hellen Frühlingstag trifft die junge Guðfinna eine Entscheidung, die alles verändern wird: Gemeinsam mit ihrer Freundin Stefanía bricht sie auf aus dem harten Leben als Magd auf einem Hof in der isländischen Einöde. Ihr Ziel: Reykjavík, die Stadt am Meer. Alle haben den Mädchen davon abgeraten. Doch zu verlockend ist der Traum von einer Anstellung in feinem Hause und von den Männern in der Stadt. So ziehen die beiden los – zu Fuss, all ihre Habseligkeiten in einem kleinen Bündel auf dem Rücken.
Mit steifen Fingern und durchgefrorenen Kleidern
Nachts schlafen sie unter dem hellen Nordhimmel, tagsüber laufen sie und arbeiten manchmal für etwas zu essen auf einem Hof. «Im Nachhinein hat Guðfinna das Gefühl, Stefanía nie so glücklich und erwartungsfroh erlebt zu haben wie in jenen Frühjahrstagen auf ihrer Wanderung übers Land.» In Reykjavík angekommen, erwartet sie jedoch so manche Enttäuschung. Und Guðfinna muss einen schweren Verlust ertragen: Stefanía wird krank und stirbt.
In ihrem Roman «Hoffnungsland», der jetzt auf Deutsch erschienen ist, erzählt die isländische Autorin Kristín Steinsdóttir vom harten Leben der arbeitenden Frauen Ende des 19. Jahrhunderts in Islands Hauptstadt Reykjavík: Mit steifen Fingern und in durchgefrorenen Kleidern schrubben sie die Wäsche der reichen Leute und tragen schwere Kohleneimer über weite Strecken. «Das Wetter ist furchtbar und der Weg scheint endlos. Sie bleiben dicht beieinander, geben sich gegenseitig Schutz und achten darauf, keine in der Dunkelheit zu verlieren.»
Die Protagonistin Guðfinna hat einen zähen Durchhaltewillen, und auf ihre manchmal etwas spröde Art bejaht sie das Leben aufrichtig. Dabei hilft ihr die feste Freundschaft zu den anderen Frauen. Sie halten zusammen, auch wenn das Schicksal und die patriarchalen Strukturen sie noch so herausfordern. Vertrauen und ein fester Glaube an die Zukunft werden in der rauen Umgebung zum Lebenselixier. Von «Diamanten und reichen Schätzen im Wald von Hoffnungsland» erzählt ein Lied, das Guðfinna von ihrer verstorbenen Mutter gelernt und seither nie vergessen hat.
Nordische Melancholie klingt mit
Eines Tages entdeckt Guðfinna gemeinsam mit einer Freundin auf einem verlassenen Hof ein paar Laken, Bettbezüge und Nachttöpfe. Sie wollen die Waren mitnehmen und gegen eine Petroleumlampe und warme Decken eintauschen. Alles klappt wie geplant – bis der Landvogt von Reykjavík ihnen auf die Schliche kommt und Guðfinna wegen Diebstahls verurteilen will. Doch die Frauen hecken einen Plan aus und halten einmal mehr zusammen. Dieses Mal führt der Weg Guðfinna noch weiter von zu Hause fort, doch es wartet ein neues Land – und die Hoffnung.
Steinsdóttirs Sprache atmet die schwefelgetränkte Luft der isländischen Insel, beim Lesen sieht man die schwarz-grüne Mondlandschaft vor sich. Auch die nordische Melancholie, diese Mischung aus Fernweh und Verbundenheit zu einer Heimat fernab der Welt, klingt fast immer mit. Ein Roman, der voller Sanftheit und Liebe zum Leben geschrieben ist.
Buch
Kristín Steinsdóttir
«Hoffnungsland»
216 Seiten
(C.H. Beck 2017).