Er ist ein Widerling und sich dessen auch bewusst. Hunter White hat mit einem simplen Geschäftsmodell Millionen gescheffelt, die er so lustvoll wie gezielt wieder ausgibt. «Seine Arbeit besteht darin, mit Sorgfalt finanzielle Fata Morganas zu schaffen, an die er die Käufer lange genug glauben lässt, um den maximalen Gewinn zu erwirtschaften, bevor die Blase platzt», umschreibt Gaea Schoeters den Antihelden ihres Romans.
In seiner Freizeit freilich lebt der US-Broker selbst in einer Fata Morgana. Als passionierter Jäger reist er regelmässig nach Afrika, um Wildtiere zu erlegen, die seine Frau als Trophäen in die heimische Villa hängt.
Afrika als «Vergnügungspark»
Aktuell ist er auf der Spur eines Nashorns. Denn dieses fehlt ihm noch zu den «Big Five»; Löwe, Elefant, Büffel und Leopard hängen schon zu Hause. Die sündhaft teure Jagdlizenz hat ihm sein Freund Van Heeren vermittelt, der – wie Hunter selbst – nicht müde wird, sich die Nützlichkeit und Ethik der Grosswildjagd vorzubeten: Indem sie jagen, betreiben sie Naturschutz, mit ihren Lizenzen werden Schulen für die Einheimischen gebaut. «Ethik, hatte Hunter gelernt, hat überall auf der Welt die gleiche Farbe: die des Dollars.»
Gaea Schoeters (48), die nach eigenen Angaben noch nie in Afrika war und keiner Fliege etwas zuleide tun kann, versetzt sich und ihre Leserinnen und Leser in eine fremde Welt. Dem virilen Vergnügen der Gross wildjagd versucht sie sich mit Neugier und Empathie sogar anzunähern.
Wenn sie Hunter und Van Heeren räsonieren lässt, er tappt sich auch der Leser bei Anflügen von Verständnis. Es braucht Romanfiguren wie den cleveren Afrikaner Jeans, um die Leser aus mentalen Irrwegen zu wecken: «Mit Verlaub, Mr. White, aber Sie wissen rein gar nichts über Afrika.»
Hunter muss sich eingestehen, dass er Afrika als «Vergnügungspark» erlebt und noch immer staunt, dass in «seinem Jagdrevier» auch Menschen leben. Autorin Schoeters bleibt an seiner Seite und beschreibt seine Jagdtrips als hochspannenden Thriller.
«Sein» Nashorn geht Hunter allerdings verloren, weil Wilderer schneller waren als er. Er schwört Rache und schliesst sich mit Einheimischen zusammen, etwa mit dem Fährtenleser Dawid. Dieser lässt in ihm Respekt, gar Bewunderung wachsen, zumal Hunters Plan ausser Kontrolle gerät: «Zum ersten Mal in seinem Leben jagt er eine Beute, die weiss, dass sie gejagt wird.»
Den Kapitalismus zum logischen Ende denken
Warum schreibt eine friedliebende Autorin einen solchen Roman auf derart packende Weise, dass die Lektüre zur haarsträubenden Expedition durchs eigene Gewissen wird? Genau deswegen. Schoeters will zeigen, dass ihr Heimatland Belgien nicht in postkolonialen Zeiten lebt, sondern dass die Kolonialisierung Afrikas durch den Westen in vollem Gange ist.
Zudem denkt Schoeters den Kapitalismus zu einem logischen Ende, dessen Perversion erschaudern lässt. Hat Joseph Conrad 1902 die «Exotik» Afrikas gewählt, um eine Reise ins «Herz der Finsternis» zu erzählen, führt einen Gaea Schoeters mit ihrem aufwühlenden Roman in eine herzlose Finsternis.
Buch
Gaea Schoeters
Trophäe
256 Seiten
(Zsolnay 2024)