Roman: Grenzgänger zwischen den Kulturen
Die Engländerin Isabella Hammad hat mit «Der Fremde aus Paris» einen anrührenden Roman über einen palästinensischen Araber geschrieben, angelehnt an den eigenen Urgrossvater.
Inhalt
Kulturtipp 25/2020
Rolf Hürzeler
Ein Satz so nüchtern wie die Meldung einer Nachrichtenagentur: «Im Januar 1936 versammelten sich Lokalpolitiker aus Nablus in einer Seifenfabrik, um über einen Generalstreik zu diskutieren.» In der Folge entwickelte sich ein Aufstand der Araber gegen die britische Besetzung Palästinas und gegen die zionistische Einwanderung. Das ist der historische Hintergrund des Debütromans «Der Fremde aus Paris» der britischen Schriftstellerin Isabella Hammad.
Ein Satz so nüchtern wie die Meldung einer Nachrichtenagentur: «Im Januar 1936 versammelten sich Lokalpolitiker aus Nablus in einer Seifenfabrik, um über einen Generalstreik zu diskutieren.» In der Folge entwickelte sich ein Aufstand der Araber gegen die britische Besetzung Palästinas und gegen die zionistische Einwanderung. Das ist der historische Hintergrund des Debütromans «Der Fremde aus Paris» der britischen Schriftstellerin Isabella Hammad.
Der Rückkehrer gilt als Exot
Die Geschichte beginnt in Frankreich. Der junge Midhat, ein Palästinenser aus wohlhabender Familie, kommt mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs nach Montpellier, um Medizin zu studieren. Er findet Aufnahme im grosszügigen Anwesen eines Anthropologen und verliebt sich in dessen Tochter Jeannette. Was wie ein Liebesmärchen beginnt, findet ein abruptes Ende. Midhat entdeckt, dass er dem Hausherrn als menschliches Forschungsobjekt diente: «Die Wirkung einer neuen Sprache, erlernt von einem primitiven Geist», lautete der Titel der Aufzeichnungen über den Palästinenser. Er spürt, dass er trotz gegenteiligen Beteuerungen in Europa nicht als vollwertig anerkannt ist, dass ihm der Nimbus des Minderwertigen anhaftet. Midhat reist Hals über Kopf nach Paris und lässt seine Liebe zurück.
Aus dieser Konstellation entwickelt Hammad eine weitgefächerte Familiengeschichte, die in Frankreich und Palästina spielt. Midhat bleibt vorerst in Paris und stürzt sich in der Nachkriegszeit in die Bohème. Er kehrt erst in die Heimat zurück, als er gezwungenermassen in das lukrative väterliche Handelsgeschäft einsteigt und durch die Vermittlung der Grossmutter die einheimische Fatima heiratet. Midhat erkennt, dass er seit seiner Rückkehr als Exot gilt – «Der Fremde aus Paris» eben: «Die amüsierten Gesichter der Umstehenden verrieten Midhat, dass man ihn als sonderbar einstufte.» Aber zurück nach Europa darf er nicht; der Vater droht mit Schande und Enterbung. Midhat trauert weiterhin Jeannette nach. Diese hatte ihn zwar in einem Brief um die Rückkehr gebeten. Doch das Schreiben findet Midhat erst nach Jahren, weil ihn sein Vater darum betrogen hatte.
Rivalitäten schaukeln Ressentiments hoch
Die 28-jährige, in London aufgewachsene Autorin berichtet zum Teil von ihrer eigenen Familie, bleibt indes fiktional. Sie entwickelt Erzählstränge von drei Clans, einer in Frankreich und zwei in Palästina, die sie raffiniert verknüpft. Dabei beschönigt sie nichts: Das saturierte Bildungsbürgertum in Europa schaufelt sich mit dem Ersten Weltkrieg selbst das Grab. Die autoritären arabischen Gesellschaftsstrukturen vermögen im Wandel der politischen Verhältnisse nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs nicht zu bestehen. Rivalitäten schaukeln Ressentiments hoch. Neben den arabischen Ethnien leben einheimische und zugezogene Juden, Türken und Engländer im Land: «Um die Jahrhundertwende zerbrachen die führenden Familien in viele Fraktionen und man schmiedete zig Bündnisse», heisst es dazu. Mittendrin steht Midhat – orientierungslos.
Buch
Isabella Hammad
Der Fremde aus Paris
Aus dem Englischen von Henning Ahrens
736 Seiten
(Luchterhand 2020)