Eine «allgemeine Renaissance» ist angesagt, «eine Befreiung von der Arbeit, die zu Liebe, Freundschaft und Philosophie führt, zu Kunst und Wissenschaft». So lautet das Heilsversprechen der digitalisierten Gesellschaft. Sie hält beim Ich-Erzähler Charlie Field in der Form von Adam Einzug, einem Roboter, der dem Menschen gleichkommt. Oder nahezu.
Der englische Bestseller-Autor Ian McEwan zeichnet mit seinem neuen Roman «Maschinen wie ich» eine vertrackte Dreiecksbeziehung zwischen dem Protagonisten Field, seiner neuen Freundin Miranda und diesem Androiden.
Adams Liebe ist eine Frage der Software
Roboter Adam ist wie jeder Leser und jede Leserin zu Gefühlen fähig. Er verliebt sich in Miranda und schreibt ihr Gedichte. Sie hüpft mit ihm ins Bett, was zu Eifersuchtsszenen zwischen Field und Adam führt. Daran ändert auch Fields Selbstvergewisserung nichts, dass Adam kein «richtiger Mensch» ist: «An Miranda lag ihm so viel wie dem Geschirrspüler am Geschirr», heisst es. So gesehen ist Adams Liebe, Lyrik inklusive, nur eine Frage der Software.
Der Autor unterlegt diese pikante Konstellation mit einer kontrafaktischen Welt: Er lässt noch einmal den Falkland-Krieg von 1982 zwischen Grossbritannien und Argentinien durchspielen. In McEwans Variante siegen jedoch nicht die Briten; vielmehr fügen ihnen die Südamerikaner eine eklatante Niederlage mit Tausenden von Toten zu. Vor allem aber lässt McEwan Alan Turing wieder aufleben. Dieser Mann knackte bekanntlich die Schlüsselmaschine Enigma im Zweiten Weltkrieg und damit die Nachrichten der Nazideutschen. Im Jahr 1954 beging Turing Selbstmord, weil er in der repressiven britischen Nachkriegsgesellschaft mit seiner Homosexualität nicht zurechtkam. Bei Ian McEwan ist Turing nun ein munterer älterer Herr, der die digitalen Prozesse aufschaltete, die einen Roboter Adam ermöglichten.
Mit «Maschinen wie ich» hat sich McEwan wieder einer gesellschaftlichen Kontroverse angenommen, diesmal den Folgen der Digitalisierung und der Frage nach der Wahrheit. Wie gewohnt setzt er nicht aufs Dozieren und bezieht schon gar nicht einseitig Stellung. Er bemüht sich vielmehr, alle möglichen Aspekte der Digitalisierung zu beleuchten. Naturgemäss gehören zu der von ihm beschriebenen menschlichen Renaissance auch die Gefahren. Denn Roboter Adam nimmt ein Eigenleben an, das Charlie und Miranda gefährlich wird.
Das Verhältnis zwischen Charlie, Miranda und Adam entwickelt sich zuerst voraussehbar: Die Maschine wächst den Menschen bald über den Kopf. Als Charlie den Roboter Adam einmal entnervt abstellen will, bricht ihm dieser das Handgelenk. Doch der Maschine fehlen eben die menschliche Intuitionsgabe und Fantasie, sodass alles anders kommt, als man denkt.
Ian McEwan hat mit diesem Roman ein literarisches Paradoxon geschaffen. Die Vergangenheit und die Gegenwart widersprechen der Wirklichkeit. Aber sie erscheinen dem Leser genauso glaubwürdig wie all das, was er für wahr hält – der aktuelle politische Bezug ist offenkundig.
Buch
Ian McEwan
Maschinen wie ich
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
416 Seiten
(Diogenes 2019)