«Und dann verschwinden» zählt zu der Kategorie von Romanen, die unmöglich nachzuerzählen sind, ohne dass etwas Wesentliches verloren geht. So viel an Rahmenhandlung lässt sich aber sagen: Eine junge Frau bricht aus ihrem gewohnten Umfeld aus, reist mit dem Zug in eine Stadt im Süden, möchte fremd im eigenen Leben werden. Sie trifft dort auf Menschen, die für eine Zeit lang Teil ihrer Welt werden, feiert mit ihnen, will lebendig sein.
Einmal läuft ihr ein junger Mann über den Weg, der ständig Zigarillos raucht, die Nacht zum Tag macht und alles Materielle um sich herum verfallen lässt. Sie zieht bei ihm ein, in sein altes Haus voller antiquarischer Gegenstände – Erbstücke seiner Familie. Mit der Zeit findet sie Gefallen an ihm. Und dennoch bleibt er ihr seltsam fremd: «Er wirkt nicht älter als ich. Ich verstehe ihn nicht, verstehe diesen Ort nicht.»
Kunstvolles Spiel mit dem eigenen Blick
Doch das Buch ist offenkundig mehr als das: Es ist vor allem ein genaues Betrachten und Erinnern, ein kunstvolles Spiel mit dem eigenen Blick auf die Bruchstücke der Vergangenheit: «Ich sehe in den Garten, ohne ihn zu sehen, im Kopf einen Film, der mir nicht mehr gehört. Ich spiele nicht mehr darin mit. Es ist eine Schauspielerin, die mich spielt. Sie ist plötzlich wieder in jenem Zug.» Von Anfang an spürt man den unbedingten Ausdrucks- und Gestaltungswillen der Autorin.
Mit ihren stakkatohaften Sätzen und bildstarken Schauplätzen erzeugt sie eine atmosphärische Dichte, die weit über das eigentlich Erzählte hinausreicht. Vor allem darin liegt der Reiz dieses Buchs. Leider ist die Geschichte selbst recht vertrackt und nicht immer ganz nachvollziehbar. Zwar fächert Monika Neun in ihrem posthum erschienenen Debüt ein breites und sensibel gezeichnetes Spektrum an Szenen auf und bietet ihren Lesern originellen Erzählstoff an. Zwischen den einzelnen Schilderungen lässt sie aber zu viel Leerraum, mäandert gedanklich wild umher, springt von einer Vergangenheit in die nächste, sodass dem grossen Ganzen die erzählerische Kompaktheit und dramatische Spannkraft fehlt.
Der Roman hinterlässt poetische Spuren
Was das rein Sprachliche angeht, findet man im Text immer mal wieder Sätze, die aufgrund ihrer eigenständigen Ästhetik nachwirken: «Die Namen, sie bleiben, wenn alles andere schon gegangen ist. Und so stehe ich am Fenster und sage einen Namen, wo niemand mehr ist.» Monika Neuns melancholischer Roman hinterlässt poetische Spuren, er schreibt sich ein.
Doch stellt sich nach der Lektüre die Frage, was mit all den Fragmenten und Bildern ausgesagt werden sollte. Die Rahmenhandlung des schmalen Bands bleibt erstaunlich dünn. Und so wird am Ende leider zu viel Geheimnis um Geheimnisvolles gemacht.
Buch
Monika Neun - Und dann verschwinden
144 Seiten (Atlantis 2023)