Ein Filmdreh am Strand: «Das war die Totale, die Master-Aufnahme, bei der die Kameras auf sie beide gerichtet waren.» Die beiden Schauspieler sind die tablettensüchtige US-Amerikanerin Anny Viklund und der um Jahre jüngere Brite Troy Blaze, die einander abgöttisch lieben. Die Szene spielt am Strand des englischen Seebads Brighton im Sommer des Jahres 1968.
Die Dreharbeiten stehen im Mittelpunkt des neuen Romans «Trio» des britischen Schriftstellers William Boyd. Sie sind der Angelpunkt einer Reihe von Schicksalsgeschichten, die der Autor mit einer erfrischenden Leichtigkeit erzählt. Er gehört zu den führenden britischen Schriftstellern und erzielte mit Romanen wie dem Spionagethriller «Ruhelos» Millionenauflagen. Sein Muster ist so einfach wie bestechend: Boyd berichtet von den Geschehnissen rund um fiktive Figuren vor einem geschichtlichen Hintergrund.
Viel Ungemach auf einmal auf dem Filmset
Im Roman «Trio» bildet der Mai-Aufstand von 1968 in Paris den historischen Hintergrund. Die damaligen Unruhen und Proteste werden jenseits des Ärmelkanals kaum zur Kenntnis genommen. Die Menschen sind zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt. Anny, wiewohl ein Filmstar, leidet unter ihrem ersten Mann, einem Gesinnungstäter, der in die Terrorszene abgetaucht ist und hinter dem das FBI her ist. Ganz andere Sorgen plagen den Filmproduzenten Talbot Kydd. Ihn beschäftigt seine Homosexualität, die eben erst entkriminalisiert wurde. Der Filmregisseur wiederum vergnügt sich mit einer Drehbuchautorin, während sich seine Angetraute dem unkontrollierten Suff hingibt, weil der Schriftstellerin ein Schreibstau zu schaffen macht. Trifft so viel Ungemach auf einem Filmset zusammen, ist die Screwball-Komödie vorgezeichnet.
Sehnsucht nach Freiheiten ohne formale Zwänge
Der Handlung entsprechend hat Autor William Boyd viele Kapitel kurz wie die Szenen in einem Drehbuch gehalten. Sie sind oftmals urkomisch, kippen jedoch mitunter ins Tragische, etwa wenn sich die Schreibstau-Autorin so sehr mit Virginia Woolf identifiziert, dass sie wie diese einen Suizid im Wasser anstrebt. Virginia Woolf galt übrigens als hoffnungslos veraltet. Erst die Frauenbewegung rückte sie in den Fokus der Literaturkritik.
Der 69-jährige Boyd versteht es meisterhaft, gesellschaftliche Stimmungen der jüngsten Vergangenheit einzufangen, wie er das etwa in seinem Roman «Eine grosse Zeit» bewiesen hat, der in Wien zu Beginn des Ersten Weltkriegs spielt. Im neuen Buch ist nun spürbar, wie sehr sich die Protagonisten nach Freiheiten ohne formale Zwänge sehnen. Aber noch halten sie an den Konventionen fest – freie Liebe, ja sicher, aber nur im Versteckten.
Nostalgie für die Alten, Geschichte für die Jungen
Ähnlich wie in den 1920er-Jahren keiner von den «Goldenen Zwanzigern» gesprochen hatte, so war in den späten 1960er-Jahren niemandem bewusst, dass diese Zeit einmal einer Generation zur politischen Orientierung dienen sollte. Da redete man lieber über damals aktuelle Popstars wie Sandie Shaw, die mit ihrem Song «Puppet On A String» 1967 den Eurovisions-Wettbewerb gewonnen hatte und laut dem fiktiven Regisseur eine Rolle im Film verdient hätte. Genau so verknüpft Boyd Fiktives und Reales in seinen Geschichten.
Etwas Nostalgie für die Alten, eine Geschichtslektion für die Jüngeren und viel Unterhaltung für alle – dieses Buch bietet packende Lektüre.
Buch
William Boyd
Trio
Aus dem Engl. von Patricia Klobusiczky, Ulrike Thiesmeyer
424 Seiten
(Kampa 2021)