Roman: Feuriger Sommerflirt mit Folgen
Mit ihrem Roman «Ewig Sommer» gelingt Franziska Gänsler ein zündendes und zeitgemässes Debüt.
Inhalt
Kulturtipp 16/2022
Letzte Aktualisierung:
22.07.2022
Renzo Wellinger
Die Fenster sind mit Silberfolie abgeklebt, der Spielplatz ist gesperrt, man soll sich nicht lange draussen aufhalten. Nein, Bad Heim ist kein Sommeridyll. Seitdem in der Gegend jährlich gefährliche Feuer lodern, taugt der einst beschauliche Kurort nicht mehr für Familienurlaube.
Dennoch reist die junge Mutter Dorota Ansel, genannt Dori, mit ihrer kleinen Tochter Ilya in das Waldbrandgebiet. Im letzten verbliebenen Hotel der Region finden die beiden Unterschlupf...
Die Fenster sind mit Silberfolie abgeklebt, der Spielplatz ist gesperrt, man soll sich nicht lange draussen aufhalten. Nein, Bad Heim ist kein Sommeridyll. Seitdem in der Gegend jährlich gefährliche Feuer lodern, taugt der einst beschauliche Kurort nicht mehr für Familienurlaube.
Dennoch reist die junge Mutter Dorota Ansel, genannt Dori, mit ihrer kleinen Tochter Ilya in das Waldbrandgebiet. Im letzten verbliebenen Hotel der Region finden die beiden Unterschlupf. Die Hotelbesitzerin Iris Lehmann kümmert sich liebevoll um ihre einzigen Gäste. Aber etwas stimmt nicht mit der neu Eingetroffenen mit dem ausweichenden Blick. Sie wirkt angespannt, unruhig. «Irgendetwas fürchtete sie, irgendetwas fürchtete sie mehr als den Brand, die schlechte Luft», schreibt Franziska Gänsler.
Vor unheilvoll brodelnder Kulisse
Die 1987 im bayerischen Augsburg geborene Autorin, die heute in Wien lebt, schildert in ihrem Debütroman «Ewig Sommer» vor einer unheilvoll brodelnden Kulisse eine zeitgemässe Geschichte über die gegensätzlichen Lebensentwürfe von Frauen unterschiedlicher Generationen. Dabei haben sie mitunter auch private Ereignisse beeinflusst: «Wie zum Beispiel, dass meine Oma und meine Mutter 1957 wegen eines Polio-Ausbruchs mehrere Wochen in einem Hotel gestrandet waren», sagt Franziska Gänsler im Gespräch mit dem kulturtipp. Im Mittelpunkt des kompakten Romans stehen die beiden Mittdreissigerinnen Dori und Iris, zwischen denen sich eine zaghafte Anziehung entwickelt. Doch der lesbische Sommerflirt bringt insbesondere das Selbstverständnis der zögerlichen Iris, aus deren Perspektive erzählt wird, ins Wanken. Die einsame, resignierte Frau, die sich seit Jahren «in der Leere des Hotels eingerichtet» hatte, gleicht ihr eigenes Leben mit Doris Erzählungen ab, lotet ihre eigene komplizierte Kindheit neu aus und stellt ihr bisheriges Leben infrage. Das Setting weckt vage Erinnerungen an Elena Ferrantes Roman «Frau im Dunkeln». Auch hier geht es um toxische Beziehungen und psychischen Missbrauch, Mutterschaft und weibliche Solidarität. Gänsler findet dafür eine angenehm unaufdringliche und gleichzeitig eindringliche Sprache. Mit wenigen spezifischen Details skizziert sie lebendige Charaktere. «Die Figuren lerne ich selber erst kennen, während ich schreibe», sagt sie. Baby etwa, die raue, rüstige Nachbarin mit Raucherlachen, kam erst relativ spät hinzu: «Mir fehlte jemand, der den Überblick behält, etwas handfester und unterhaltsamer ist als die beiden Protagonistinnen.»
Klimawandel als Bedrohung
Ganz nebenbei werden in «Ewig Sommer» die unmittelbaren Konsequenzen des Klimawandels aufgezeigt. Obwohl das Geschehen an einem fiktiven Ort spielt, ist die Klimakatastrophe real. Nachrichten und App-Warnmeldungen sind fester Bestandteil der Handlung. Solange das Feuer am Boden bleibt, ist Bad Heim durch einen Fluss geschützt. Doch die Situation spitzt sich zu. Nicht nur der unberechenbare Brand wird immer bedrohlicher, auch die mysteriösen Anrufe eines Mannes sorgen für Unruhe. Und so steuert die Geschichte auf ein unausweichliches Desaster zu. Eine bis zum Schluss spannende, sprachlich virtuose Sommerlektüre.
Franziska Gänsler
Ewig Sommer
208 Seiten (Kein & Aber 2022)