kulturtipp: Tracey Emin, die in Ihrem neuen Roman «Wie Inseln im Licht» eine Rolle spielt, ist für ihre autobiografische Kunst bekannt. Wie persönlich sind Ihre Werke?
Franziska Gänsler: Das meiste denke ich mir aus. Natürlich fliessen persönliche Aspekte aus meiner Lebenserfahrung ein, aber nicht direkt aus meinem Privatleben.
Wie in «Ewig Sommer» steht auch im neuen Roman eine komplizierte Mutter-Kind-Beziehung im Fokus. Sind das autobiografische Elemente?
Nein. Meine Mutter ist eine sehr stabile, lebensfrohe Person. Als ich ihr vom neuen Buch erzählte, beschwerte sie sich, was das schon wieder für eine Mutterfigur sei (lacht). Alle würden denken, das sei sie. Aber meine Mutter ist sehr undramatisch!
Was inspirierte Sie zum Roman?
Es muss immer einen «Spark» geben und sich anfühlen, als würde ich mich verknallen. Bei «Wie Inseln im Licht» waren es eine Videoarbeit von Anne Imhof und eine Performance von Tosh Basco.
Wie beeinflussten diese Arbeiten Ihr Schreiben?
In diesem Fall waren es das Meer und der Himmel aus Imhofs Video und Bascos lichtreflektierendes Kleid. Kalte Farben wie Silber und Blau geben den Ton an. Bei mir entsteht zunächst immer eine Art Farbigkeit. Ich habe Malerei studiert, mit Worten kann ich mich aber präziser ausdrücken.
Im neuen Roman spielen vermisste Kinder eine zentrale Rolle. Woher kommt diese Faszination?
Ich habe mich während meiner Kindheit für verschwundene, entführte Kinder interessiert, schnitt sogar Zeitungsartikel aus. Ich fürchtete mich damals davor, dass mir oder meiner Schwester etwas Ähnliches passieren könnte. Indem ich mich intensiv damit beschäftigte, wollte ich mich davor schützen.
Die Natur ist ebenfalls ein wiederkehrendes Element in Ihren Texten. War es im letzten Roman das Feuer, sorgt dieses Mal das Meer für ein beunruhigendes Gefühl. Haben Sie Angst vor der Natur?
Nein, gar nicht, ich liebe die Natur. Es macht mir Spass, Naturphänomene zu beschreiben. Ich brauche das während des Schreibprozesses als eine Art Auszeit. Naturbeschreibungen schüttle ich leicht aus dem Ärmel – es ist, als würde ich damit einen Text würzen.
Die lesbische Liebesbeziehung ist im neuen Roman im Vergleich zum Vorgänger sichtbarer. Angesichts des repressiven Klimas gegen homosexuelle Menschen in vielen Ländern eine bewusste Entscheidung?
Das ist schon in den Figuren verortet. Bei Iris und Dori in «Ewig Sommer» wäre es angesichts ihrer Zurückhaltung nicht plausibel gewesen, dass sie sich noch näherkommen. Zoey hingegen, die Hauptfigur des neuen Romans, ordnet ihr eigenes Leben jahrelang komplett der Pflege ihrer Mutter unter und ist hungrig nach Liebe.
Dennoch wurde ich schon gefragt, warum überhaupt eine sexuelle Beziehung zwischen Zoey und Marlène bestehen müsse. Diese Frage ist im Grunde homophob.
Inwiefern?
Wäre der Erzähler ein junger heterosexueller Mann, der seit drei Jahren keinen Sex mehr gehabt und in einem Hotel eine attraktive Surferin kennengelernt hätte, würde man wohl kaum fragen, warum die beiden miteinander schlafen. Ein Narrativ von zwei Frauen, die sich annähern, wird von vielen zuerst als Freundschaft gelesen.
Bei «Ewig Sommer» gab es bei Lesungen sogar Leute, die darauf beharrten, dass es sich lediglich um eine Freundschaft handelte.
Wie wichtig ist queere Repräsentation in der Literatur?
Generell finde ich Vielseitigkeit wichtig. Literatur bietet einen Mehrwert, indem sie verschiedene Lebensrealitäten abbildet. Im neuen Roman war es mir wichtig, eine schöne queere Beziehung zu zeigen – ohne ein trauriges Ende. Die Sexualität der Frauen ist dabei selbstverständlich, wird weder thematisiert noch dramatisiert.
Sie nutzen viele popkulturelle Referenzen, erwähnen zum Beispiel Britney Spears oder «Titanic».
Fernsehen ist ein zentraler Teil von Zoeys Kindheit, ihre Weltsicht speist sich also aus diesen Referenzen. Mich irritiert es, dass zeitgemässe Romanfiguren nur selten fernsehen oder sich mit Streaming-Serien beschäftigen. Das finde ich angesichts unseres enormen TV-Konsums, der unser Denken beeinflusst, unrealistisch.
Ihre Romanfigur Mme Future, eine Oma mit Wahrsage-InstagramAccount, könnte auch einem RealityTV-Format entsprungen sein.
Ein Kurzfilm eines befreundeten Künstlers inspirierte mich zu dieser Figur. Ich selbst sehe tatsächlich sehr viel fern. Fernsehen ist meine Hauptquelle an kreativem Input. Ich schreibe an einer Reihe von Texten namens «TV Is Poetry», in der ich Fernsehmomente wie Rihannas Superbowl-Auftritt in Sprache übersetze.
Gab es bereits einen «Spark», den zündenden Funken, für den nächsten Roman?
Ja. Dieses Mal wird es um eine Freundschaft gehen. Aber auch Mütter werden sicherlich wieder ihren Auftritt bekommen.
Buch
Franziska Gänsler
Wie Inseln im Licht
208 Seiten
(Kein & Aber 2024)
Unaufgeregte Eleganz
Franziska Gänsler, 1987 im bayerischen Augsburg geboren, studierte Kunst und Anglistik in Wien, Berlin und Augsburg, bevor sie mit «Ewig Sommer» (2022) ihr Romandebüt vorlegte. Darin schildert die Autorin, die heute in Augsburg und Berlin lebt, in einer unaufgeregten, pointierten Sprache die gegensätzlichen Lebensentwürfe zweier Frauen vor der unheilvollen Kulisse des globalen Klimawandels.
In Gänslers neuem Roman sucht die 27-jährige Kunststudentin Zoey Weiss nach dem ominösen Verschwinden ihrer Schwester nach Antworten. Ihre verstorbene Mutter schwieg dazu beharrlich ihr ganzes Leben lang. Eine schmerzhafte Suche nach der Wahrheit beginnt und reisst alte Familienwunden auf.