Roman: Fantasy in der Provinz
Sven Pfizenmaier lässt in seinem Debüt «Draussen feiern die Leute» seiner unbändigen Fantasie freien Lauf. Das Resultat ist eine moderne Mischung aus Coming-of-Age-Roman, Krimi und Fantasy.
Inhalt
Kulturtipp 19/2022
Renzo Wellinger
Eine Eule in Adiletten, ein biegsamer Pflanzenmensch und eine rüstige 157-jährige Oma: Die Figuren in Sven Pfizenmaiers Roman könnten einer Fantasyserie entsprungen sein. Die fantasievolle, in kurzen Episoden aus wechselnden Perspektiven erzählte Handlung und die jugendliche, aber geschliffene Sprache erinnern an deutsche Netflix-Produktionen wie die Mysteryreihe «Dark» oder die Comedyserie «How To Sell Drugs Online (Fast)». In einem namenlosen Dorf...
Eine Eule in Adiletten, ein biegsamer Pflanzenmensch und eine rüstige 157-jährige Oma: Die Figuren in Sven Pfizenmaiers Roman könnten einer Fantasyserie entsprungen sein. Die fantasievolle, in kurzen Episoden aus wechselnden Perspektiven erzählte Handlung und die jugendliche, aber geschliffene Sprache erinnern an deutsche Netflix-Produktionen wie die Mysteryreihe «Dark» oder die Comedyserie «How To Sell Drugs Online (Fast)». In einem namenlosen Dorf in der niedersächsischen Provinz verschwinden immer mehr junge Menschen. Wo sind sie hin? Und was hat der ominöse «Superdrogenboss » Rasputin damit zu tun? Eine Gruppe von Aussenseitern versucht, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Einige der jugendlichen Protagonisten verfügen über absurde Superkräfte, die ihnen kaum nützen. Der 17-jährige Richard etwa saugt den Menschen die Energie aus. Valerie kann wochenlang am Stück schlafen, während Timo mit seinen rankenartigen Gliedmassen wie eine Pflanze aussieht.
Ein Roman über Herkunft, Identität und Einsamkeit
Die besonderen Eigenschaften der Jugendlichen stehen symbolisch für ihre Ängste, ihre Unsicherheiten. Timo fühlt sich unwohl in seinem Körper, während «Schlüsselkind» Richard im sozialen Umgang mit anderen verunsichert ist. Und Valerie, die in Deutschland aufgewachsene Tochter von Russlanddeutschen aus Kasachstan, «mag nicht mehr an einem Ort sein, an dem kein ‹wir› mich mitmeint». Sven Pfizenmaier, 1991 im deutschen Celle geboren, findet starke, aberwitzige Bilder für die Sorgen der Heranwachsenden. Einfühlsam und humorvoll beschreibt er das Gefühl ihrer körperlichen Entfremdung und ihrer Identitätskrisen. Sie alle wollen raus. Nicht nur aus ihrem eintönigen Dorfleben, dessen jährlicher Höhepunkt das Zwiebelfest ist, sondern auch aus ihrer eigenen Haut. Der Autor spielt dabei mit den Erwartungen der Leser und zeichnet eine glaubhafte Dorfrealität, die er durch irritierende Wendungen bricht. Die Erzählung erinnert an Wolfgang Herrndorfs Bestseller «Tschick», in dem zwei junge Aussenseiter vor ihren Problemen fliehen. Auch in diesem Roman werden Herkunft, Identität und Einsamkeit thematisiert, aber auch Alkohol- und Drogenkonsum unter Teenagern – zwar ohne konkrete Antworten zu liefern, dafür sehr unterhaltsam.
Sven Pfizenmaier
Draussen feiern die Leute
339 Seiten (Kein & Aber 2022)