Einst war Odessa eine lebenslustige Stadt, heute ist sie vom Krieg gezeichnet. Die in Odessa geborene Autorin Irina Kilimnik, die seit 1993 in Deutschland lebt, blendet in ihrem Roman zurück in den Sommer 2014.
Russlands Annexion der Halbinsel Krim ist bereits Realität, aber noch herrscht in der Hafenstadt am Schwarzen Meer eine unbeschwerte Stimmung – auch wenn im Hintergrund bereits ein Donnergrollen spürbar ist. Aus der Sicht der Medizinstudentin Olga erzählt die 44-jährige Irina Kilimnik von einem turbulenten Sommer, in dem Olga lernt, für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen.
Sie lebt mit ihrer Mutter, zwei Tanten und drei Cousinen sowie dem Opa, der als meist schlecht gelauntes Oberhaupt über der Frauenrunde thront, in einer Wohnung. Konflikte sind in dieser beengenden Konstellation vorprogrammiert, und Olga versucht, sich von den Erwartungen ihrer Familie zu befreien.
Als Opas alter Freund David aus den USA auftaucht – im Gepäck ein altes Familiengeheimnis – brechen die festgefahrenen Strukturen langsam auf … Olga lernt in diesem Sommer aber auch einiges über Liebe und Freundschaft, gerät mit ihrem Kommilitonen Radj und ihrer besten Freundin Mascha in Streit und versöhnt sich wieder.
Eine junge Frau erkämpft sich ihren eigenen Weg
Unterhaltsam und in leichtfüssig- humorvollem Ton beschreibt Kilimnik die Irrungen und Wirrungen in einem heissen Sommer, der nicht nur für Olga Veränderungen mit sich bringt. Erste Risse im unbeschwerten Leben der Odessiter, welche die ukrainische und die russische Sprache und Kultur stets nebeneinander gelten liessen, zeigen sich in Unstimmigkeiten, die Kilimnik nur am Rande erwähnt. Etwa im Ehekrach von Maschas Eltern – die Mutter eine glühende Verehrerin der ukrainischen Kultur, während der Vater «im Russischen die wahre Stärke sieht».
Und auch wenn Olga mit Radj durch die Innenstadt schlendert, spürt sie einen unbestimmten Widerspruch: «Ein idyllisches Bild, ein Bild, das jenes einer plötzlich besetzten Halbinsel, einer gespaltenen Gesellschaft überlagert, die gesamte Situation glättet, eine Normalität vortäuscht, die es vielleicht nicht mehr gibt.» Nebst den gesellschaftlichen Veränderungen beschreibt Irina Kilimnik in ihrer soghaften Familiensaga aber vor allem eine junge Frau, die sich ihren eigenen Weg erkämpft.
Lesung mit Irina Kilimnik
Fr, 31.3., 19.00 Stadtbibliothek Schaffhausen (am Festival «Erzählzeit ohne Grenzen»)
Buch
Irina Kilimnik - Sommer in Odessa
288 Seiten (Kein & Aber 2023)