Sie lebte in privilegierten Verhältnissen. Beate Ulbricht (1944–1991) genoss in der DDR alle Vorrechte, die sich die Parteielite zuschanzte. Dennoch war die junge Frau unglücklich. Denn sie verliebte sich in den italienischen Eurokommunisten Ivano Matteoli, und das durfte nicht sein. Beate Ulbricht nämlich war nicht irgendeine. Sie war die Adoptivtochter von Lotte und Walter Ulbricht, seines Zeichens Staatsratsvorsitzender der DDR und Zeit seines Lebens ein Stalinist.
Ein Schicksal als Sinnbild für das Unrecht
Das ist die Ausgangslage des neuen biofiktionalen Romans «Tochter des Diktators» der Berliner Publizistin Ines Geipel. Die 57-jährige Autorin ist in der DDR aufgewachsen, war Spitzenathletin und fiel in Ungnade der Behörden, weil sie in den Westen auswandern wollte. Für Geipel steht das Schicksal der Beate Ulbricht sinnbildlich für das Unrecht, welches das DDR-Regime einem Teil der Bevölkerung zugefügt hatte.
Beate Ulbricht und Ivano Matteoli wollten heiraten. Doch die Verbindung war in den Augen ihrer Eltern, dem ersten Mann in der DDR und dessen Frau, politisch unakzeptabel. Für sie kam nur ein linientreuer Stalinist als Schwiegersohn infrage, am besten aus der Sowjetunion selbst oder allenfalls aus der DDR. Die Ulbrichts stellten in ihrem Leben die Staatsräson über alles. Aus diesem Grund adoptierten sie die kleine Beate, eine ukrainische Kriegswaise, die eigentlich Maria Pestunowa hiess.
Die beiden Verliebten, Beate Ulbricht und Ivano Matteoli, dachten jedoch nicht ans Aufgeben. Sie heirateten und lebten in Berlin. Beate musste allerdings auf Geheiss ihrer Adoptiveltern ihr Studium abbrechen und in einem volkseigenen Betrieb arbeiten. Nach der Geburt einer Tochter entschied sich das Paar, nach Leningrad zurückzukehren. Ivano reiste voran, um den Umzug vorzubereiten. Kaum war er abgereist, nahmen die Behörden Beate den Pass ab. Sie konnte nicht nachreisen und musste in der DDR bleiben. Nach Jahren der Trennung kam es zur Scheidung.
Ivano Matteoli nahm sich schliesslich vor zehn Jahren in Rom das Leben. Beate Matteoli wurde zwei Jahre nach dem Mauerfall in ihrer Berliner Wohnung erschlagen aufgefunden; die Täterschaft ist bis heute nicht ermittelt. Zu jenem Zeitpunkt war sie im Penner-Milieu gelandet, dem Alkohol verfallen.
Geipel im Visier der Staatssicherheit
Die 56-jährige Autorin Ines Geipel war in den 1980ern Spitzensportlerin und stellte mit einer Staffel über 4 x 100 Meter einen Vereins-Weltrekord auf. Sie war Opfer des staatlichen Dopingprogramms und erfuhr die Brutalität des Regimes, nachdem sie sich 1984 in einen mexikanischen Sportler verliebt hatte. Ihre Fluchtpläne wurden vereitelt, sie kam ins Visier der Staatssicherheit. 1989 konnte Geipel in den Westen flüchten. Seither hat sie Bücher und zahlreiche Publikationen veröffentlicht, etliche davon über die untergegangene DDR.
Buch
Ines Geipel
Tochter des Diktators
198 Seiten
(Klett-Cotta 2017).
7 Fragen an Ines Geipel
«Da gab es kein Nadelöhr, kein Entkommen»
kulturtipp: Ulbrichts Adoptivtochter Beate wollte einen italienischen Kommunisten heiraten, was ihr die Eltern verweigerten. Warum?
Ines Geipel: Die italienische KP beanspruchte ab einem bestimmten Zeitpunkt absolute Eigenständigkeit gegenüber dem dumpfen Sozialismusmodell in Osteuropa und war auch deutlich in ihrer Kritik ihm gegenüber. Sie waren die Abtrünnigen, ja, irgendwann die Feinde. Der Eurokommunismus in Italien und Frankreich war für die DDR-Kommunisten ein Sakrileg. Das hat sich die westliche Linke jahrelang schön weggeguckt. Beate Ulbricht kannte aber das ostdeutsche System aus dem Inneren heraus, seine Akkuratesse der Brutalität. Sie dürfte gewusst haben, dass sie für diese von ihren Staatseltern abgetrotzte Ehe einen hohen Preis bezahlen musste.
Beate Ulbricht war unpolitisch. Sie war nicht einmal oppositionell.
Sie wollte vor allem leben. Sie war ein Waisenkind aus dem Osten, kam zu einer Dresdner Adoptivmutter und wurde ihr dort von den Ulbrichts weggegerissen. Man muss sich das mal vorstellen. Mit 14 Jahren haben sie dann ihre Staatstochter von Ostberlin nach Leningrad geschickt, weil sie in den DDR-Schulen nicht zurechtkam. Ihre Mitschüler haben sie drangsaliert und geschlagen, weil sie die Tochter Ulbrichts war. Dieses Königskind hatte Mühe, sich überhaupt irgendwie zu konsolidieren.
Man fragt sich heute, warum haute die nicht einfach in den Westen ab, wie das andere schafften. Wollte sie nicht wirklich?
Beate Matteoli wurde rundum vom Geheimdienst beschattet. Da gab es kein Nadelöhr, kein Entkommen. Sie soll viel über ihre Flucht nachgedacht haben, aber sie hätte null Chance gehabt, um rauszukommen. Irgendwann erlag sie dem Druck der Eltern und stimmte der abverlangten Scheidung von Ivano Matteoli zu. Was muss das für ein bitterer Moment gewesen sein. Aber diese Staatseltern konnten das: einfach verfügen, dass es ein gemeinsames Leben nicht geben würde. Ja, die Liebe zu Ivano war ihr grosser Akt der Selbstbehauptung, aber auch der Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens. Die Freunde sagen noch heute: Die beiden zu trennen, das durfte man nicht. Aber Intimes oder auch Gefühle waren in derart hochpolitischen Zeiten eine kreuzgefährliche Angelegenheit. Das garantierte Leben mit enormer Falltiefe.
Ein Motiv in Ihrem Buch sind die wiederkehrenden Verbrechen. Ein Bombenattentat nach dem Krieg in der Toskana, der Tod von Beates Mann. Sie selbst wurde erschlagen.
Ihr Mann Ivano Matteoli nahm sich in Rom das Leben, ebenso sein Vater. Beate selbst wurde in der Umbruchszeit, genauer 1991, in Berlin ermordet. Der Obduktionsbericht ist unklar, zumal ihre Leiche schon weitgehend zerfallen war. Man kann nur spekulieren, was geschehen ist. Waren es ihre damaligen Kumpels, die an ihr Geld wollten? Dafür gibt es Indizien, aber es könnte sich auch um einen Unfall gehandelt haben.
Oder gab es politische Gründe?
Natürlich gab es auch politische Gründe. Sie war eine Frau, die viel wusste und angefangen hatte, darüber öffentlich zu sprechen. Das passte der Nomenklatura nicht. Aber was nützt die Spekulation an der Stelle? Wir wissen es nicht. Und dabei wird es wohl bleiben, wenn keiner der Protagonisten irgendwann zu sprechen anfängt. Einiges ist mysteriös, etwa, dass ihr damaliger Freund kurz darauf ebenfalls ungeklärt zu Tode kam.
Sie waren ja selbst ein Opfer des Systems.
Ich hatte zu DDR-Zeiten hochkarätige Konflikte auszutragen. Der Vater war Agent, was ich erst 15 Jahre nach dem Mauerfall erfuhr. In meinem Umfeld gab es durch Familie, Sport und Universität aberwitzig viele Geheimdienstler, die sich Erstaunliches gegen mich ausgedacht haben. Klar, das ist kein schönes Wissen, aber für mich ist mit dem Mauerfall von 1989 ein völlig neues Leben möglich geworden. Will sagen: Ich hatte sagenhaft viel Glück und bin sehr dankbar dafür.
Spricht man mit jungen Leuten, haben sie höchstens diffuse Vorstellungen von der DDR.
Klar. Das ist für sie so etwas wie Mittelalter und elend weit weg. Dabei holt uns all das Weggeschaute ja jeden Tag wieder neu ein. Sicher ist, dass wir damit noch eine Weile zu tun haben werden.